2 Anne's Carnegie Debut

In diesem Blog-Eintrag erzähle ich, warum ich bei meinem Debut in der Carnegie-Hall gezwungen war vom Blatt zu spielen, von meinem Master-Abschluss-Konzert mit ganz besonderen Erinnerungen an mein würzburger Diplomkonzert, von meinem Besuch in der Steinway-Fabrik mit Schutzbrille, von einem Meisterkurs mit selbstgebackenen Keksen, warum ich eine vor fünf Jahren ausgemachte Verabredung verschieben musste, und ich räume ein bisschen auf mit Vorurteilen und Klischees über die selbstverliebten, oberflächlichen, umweltverpestenden Amerikaner mit ihrem großen Traum vom Tellerwaschen

 

Guten Tag, liebe, hochgeschätzte Europäer! In einem Monat werde ich wieder ins Herz dieser wunderbaren Staatengemeinschaft zurückkehren und vermutlich nicht mehr gefragt werden, ob Deutschland eine Demokratie ist, welche Währung wir verwenden und ob Belgien wirklich so eine schöne Stadt ist. Ein paar Vorurteilen und messerscharfen Beobachtungen werde ich später in diesem Blog-Eintrag noch auf den Grund gehen. Vorher berichte ich aber noch von den spannenden Ereignissen, die sich seit dem letzten Eintrag zugetragen haben - zum Beispiel meinem Besuch in der Steinway-Fabrik und meinem Debut im berühmtesten Konzerthaus der Welt.  Diesmal schreibe ich nicht chronologisch, sondern (entsprechend den amerikanischen Lebensläufen) rückwärts, von den jüngsten Ereignissen ausgehend in die (tiefe) Verfangenheit... äh, Vergangenheit!

 

Anne spielt in der Carnegie Hall

Am Donnerstag den, 20. April, wurde ein Traum wahr, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn hatte. Dass ich je in der Carnegie Hall spielen würde, war noch vor wenigen Jahren ein so absurder Gedanke, dass ich ihn gar nicht erst gedacht habe. Die Carnegie Hall ist wohl die berühmteste Konzerthalle der Welt, sowas wie die Berliner Philharmoniker unter den Orchestern oder die Titanic unter den Kinofilmen. "Damals" dachte ich noch: Wer da seine holden Füßchen draufsetzt, braucht sich im Leben keine Sorgen mehr zu machen.

Weit gefehlt. Wenn man erst einmal in New York ist, wo diese Halle steht, ist auch der Weg hinein nicht mehr so weit, wie er einst erschienen. Die Hochschulen können sie anmieten und zahlreiche Stipendien oder Wettbewerbe locken ebenfalls mit Auftritten dort. Trotzdem war es eine besondere Überraschung als ich erfuhr, dass der DAAD, mein aktueller Stipendiengeber für das zweite Studienjahr, dort jeden Frühling ein Stipendiatenkonzert veranstaltet. In der "Carnegie Hall" gibt es drei Konzertsäle: einen großen (Stern Auditorium) und zwei kleinere (Zankell Hall und Weill Hall). In den meisten Fällen, wo Normalsterbliche dort auftreten, geht es um einen der kleineren. Aber egal, es steht Carnegie drauf und man ist in Carnegie drin.

 

Unser Konzert sollte in der Weill Hall stattfinden, welche ca. 270 Plätze hat. Die Ausführenden: Die fünf Musik-Stipendiaten des DAAD, bestehend aus vier Männern und mir. Schon am Mittag sollten wir dort hinkommen, denn wir hatten noch etwas vor: Ein Alumnus hatte für alle Musiker ein kurzes Schlussstück komponiert, zu dem wir erst am Tag des Konzerts die Noten erhalten  haben und das wir auch am Konzerttag erst geprobt haben. Respekt an den Komponist, ein Stück zu schreiben, bei dem das möglich ist. Dann durften wir uns noch einspielen, außerdem war ein Fotograf engagiert, der uns alle porträtiert hat. Zwischendurch wurden wir noch mehrfach zu Sandwiches und Tee eingeladen im Deli auf der anderen Straßenseite. Irgendwie mussten wir ja die ganze Zeit von 12 - 19:30 überbrücken. Ich meine, das hätte man auch etwas straffen können, aber mich fragt natürlich keiner, grins.

 

Das Konzert dient sicher auch der Repräsentation des DAAD, Herr- und Damenschaften vom Konsulat waren anwesend und sicher noch andere wichtige Menschen. So gab es zu Beginn erst einmal einige kurze Reden und wir Musiker wurden vorgestellt. Und dann durfte ich das Konzert eröffnen! Viel Solo-Zeit hat man uns nicht zugestanden - Ich spielte zwei Sätze aus "Le tombeau de Couperin" von Ravel, die auch auf meiner CD enthalten sind. So kurz zu spielen ist viel nervenaufreibender als länger zu spielen, weil man keine Gewöhnungszeit hat. Schwups, anfangen, schwups, vorbei. Ich war auch etwas aufgeregter als bei normalen Konzerten. Dennoch war ich mit meinem Auftritt ganz zufrieden. Anschließend spielte ich zusammen mit einem Geiger, der an der Juilliard studiert die "Tzigane" von Ravel. Danach spielte der Geiger ein Solo-Stück, komponiert von einem anderen deutschen Studenten, und vor der Pause gab es eine Chopin-Polonaise von einem extra aus L.A. eingeflogenen Stipendiaten.

 

Nach der Pause durfte das Publikum sich etwas übertriebene 40 Minuten Jazz anhören, eine Combo aus zwei Stipendiaten (Posaune und Vibraphon), die mit Bass + Schlagzeug aufgestockt worden war. Der Schlagzeuger hatte in der Pause sein Klischee erfüllt: Als Lukas, der Geiger, sein Solo-Stück spielte und wir es Backstage über Monitore verfolgten, und als Lukas dann anfing, Doppelgriffe zu spielen, fragte er doch, ungelogen und tatsächlich: "Hä, sind das jetzt zwei Geigen?"

Das Schlussstück, eine Art notierte Gruppenimprovisation über den Ton "e" gelang einigermaßen, und wir wurden je mit einer großen Packung Schokolade bedacht. Viel Zeit zum Entgegennehmen von Glückwünschen blieb nicht, denn wir wurden alle ganz schnell rausgeworfen. Die Bestimmungen in der Carnegie sind sehr streng und erinnern etwas an Schikane - so musste der Fotograf z.B. unterschreiben, dass er nicht "auf der Bühne" sein darf zum Fotografieren während der Probe, es wurde streng unterschieden zwischen "Stellprobe" und "Anspielprobe", und Video-Aufnahmen waren [eigentlich] auch bei der Probe streng untersagt, ganz zu schweigen vom Konzert.

 

Nach dem Ende des Konzerts wurden wir noch zu einem Drink in einem nahen, lauten, düsteren, überkühlten Pub eingeladen, wo ich mich kurz nach Mitternacht in einer Unterhaltung mit einem Künstler wiederfand, der hauptsächlich "Nudes" ablichtete. So einer mit wirren Haaren und Halstuch. Er war nett und hat eine CD von mir gekauft. Und keine Sorge, ich werde ihn nicht wiedersehen.

Wirklich schön war, dass viele meiner Freunde zum Konzert gekommen sind, denn ich konnte beliebig viele Besucher für umsonst auf die Gästeliste setzen. Die meisten davon waren vermutlich noch nie in der Carnegie Hall. Ein schöner, etwas vorzeitiger Abschluss meiner Zeit in New York! Dieses Konzert werde ich sicher nie vergessen. Achja, falls es jemand noch nicht kennt: "How do I get to Carnegie Hall?" - "Practice, practice, practice"! :-)

 

Hier ein paar Fotos, die Freunde von mir und ich gemacht haben. Die Fotos vom Fotografen habe ich noch nicht bekommen, sowas dauert erfahrungsgemäß immer Monate bis Jahre...

Diese Aufnahme entstand vor dem Konzert bei der Anspielprobe

Meisterkurs in der Steinway Hall

Am nächsten Tag um 9 Uhr morgens hatte ich übrigens eine Kammermusikprobe. Blöd, dass in der steinzeitlichen New Yorker Metro der Strom auf fast allen Linien in Manhattan ausgefallen ist und die Probe halb für die Katz war, da die Hälfte der Besetzung zu spät kam. Da soll sich noch mal einer über die U-Bahn in Berlin beschweren. Wie ist es bitte möglich, dass über mehrere Stunden, zur morgendlichen Rush-Hour, die U-Bahn quasi tot ist? Glück für mich, dass gerade meine Linie gefahren ist, so kam ich wenigstens nach getaner Arbeit wieder nach Hause und konnte mich wieder ins Bett legen.

Heute übrigens kam ich von der 125th zur 96th street auf folgende Weise: Von der 125 über 137 zur 145 fahren, dann in einen Downtown-Zug steigen, der alle Stationen zwischen 147 und 96 außerplanmäßig auslässt und bei 96 aussteigen. Solche Spielchen sind alltäglich in New York. Man kann nur hoffen, dass die Linie die man fährt nicht betroffen ist. Und vor einigen Wochen hat man die Passagiere aus meiner Bahn einfach an einer Stadtion rausgeworfen, weil die Türen nicht mehr zugingen. Und zwar nicht, weil zu viele Leute drin waren... Gut, dass ich schon nah genug an meinem Zuhause war, um den Rest zu laufen.

 

Am Mittwoch, dem Tag vor dem Konzert, war ich bei einem Meisterkurs in der Steinway Hall in der Nähe des Times Square. Im Untergeschoss der Verkaufsstelle in New York (in der ich bei einem Besuch nur ein Instrument im Nebenraum anspielen durfte - ich habe berichtet) gibt es noch viele weitere Instrumente und einen kleinen Konzertsaal, in dem anscheinend regelmäßig Meisterkurse stattfinden. Mein Lehrer hatte mich schon vor Monaten dort nach einer Anfrage vorgeschlagen und sich sehr geärgert, dass man mir nie geantwortet hatte. E-Mail-Fehler, entschuldigte man sich damals und hatte mich auf einen späteren Kurs vertröstet, und der war nun am Tag vor meinem Carnegie-Konzert. Die unterrichtende Pianistin war Hélène Tysman, eine junge Französin, die auch in Deutschland studiert hat. Ihr Unterricht war kurzweilig, hilfreich und interessant, auch wenn er nur 45 Minuten gedauert hat. Soweit ich das beurteilen konnte, hat sie auch selbst wirklich sehr schön gespielt!

 

Kurz vorher hatte ich zufällig die einmalige Gelegenheit, einen New Yorker und Hamburger Steinway direkt nebeneinander anzuspielen, das war auch sehr interessant. Mir gefallen die New Yorker ja nicht so gut, allerdings verstehe ich inzwischen auch, was man daran finden kann. Dort bei Steinway stand ein wirklich schöner, und auch der in der Carnegie Hall war sehr gut - vermutlich der beste New Yorker, den ich bisher gespielt habe. Der Klang kommt mir etwas "indirekter" vor, als wäre die Klangabstrahlung weniger nach vorne und mehr zur Seite, der Klang ist etwas dumpfer und weicher und außerdem, vor allem ab Mittellage und im Diskant, deutlich leiser. Die Hamburger empfinde ich als lauter und ausgewogener, sie sind darum leichter für mich zu spielen, weil man weniger "kneten" und "sich bemühen" muss. Wenn der Klang allerdings zu direkt und scharf ist, fällt unter Umständen ein ganz feiner Pianissimo-Klang schwerer. Allerdings muss ja auch ein Pianissimo-Klang noch tragfähig sein... Das ist alles Geschmacks- und Gewöhungssache. Bei meinem Besuch im Steinway-Werk wurde ich dazu sogar befragt. Zu dieser besonderen Führung gleich mehr...

Anne's Master Recital

Am Tag vor dem Meisterkurs fand mein Master-Abschluss-Konzert in der Mannes School statt. Das war eine wirklich aufregende Woche. Eigentlich sollte es auch noch eine "richtige Prüfung" Anfang Mai geben, ähnlich einer Aufnahmeprüfung, aber die wurde kurzerhand in diesem Semester abgeschafft. Dagegen habe ich natürlich überhaupt gar nichts! So blieb mir noch, dass ich mindestens 60 Minuten frei gewählte Musik in einem Konzert mit Pause spielen sollte. Mein Programm: Die zwei Sätze Tombeau, die ich auch in der Carnegie Hall spielen wollte sowie die Sonatine von Ravel, die a-moll-Sonate D 784 von Schubert und "Faschingsschwank aus Wien" von Schumann.

Zu Konzertbeginn um 20 Uhr war noch keine Jury anwesend. Ich erinnerte mich an mein Diplom-Konzert in Würzburg, das mit 30-minütiger Verspätung begann, weil zwei der drei Jurymitglieder sie verpennt hatten und kurzfristig durch andere Professoren ersetzt wurden. Schließlich kam um drei nach acht jemand herein, der mir irgendwie nach Jury aussah. "Are you here to judge me?" fragte ich etwas dämlich. Nein, wollte er nicht. Ah, ok. Aber er sei trotzdem der, für den ich ihn halte. Ich solle aber einfach mal schöne Musik spielen und er höre einfach mal zu, es besteht hier sowieso jeder. Prima, danke! Mein Lehrer allerdings kam nicht, und so begann ich mein Abschlusskonzert ohne ihn. Ich weiß zwar, dass er, was Termine angeht, immer mal um eine Erinnerung bittet, aber er hatte erst einige Tage zuvor nach dem Datum meines Konzertes gefragt. In der Pause war er dann auch da. Warum er zu spät kam, hat er mir nicht erzählt.

Ich denke, ich habe ganz ordentlich gespielt, den von mir eingeladenen Zuhörern hat es jedenfalls gefallen. Vielleicht hat es auch der asiatischen Touristin gefallen, die in der ersten Hälfte von fünf verschiedenen Stühlen aus Fotos gemacht hat, falls sie bei ihrer Vollbeschäftigung noch etwas von der Musik hören konnte.

 

Damit ist der wichtigste Teil meines Studiums nun abgeschlossen. Ich habe noch ein Neue Musik-Konzert vor mir, ein paar Hausaufgaben und eine Präsentation und sollte die Fächer bis zum Ende besuchen. Aber das meiste ist nun vorüber. Tatsächlich war ich nun vier Semester, beinahe zwei Jahre lang, Studentin in New York! Ich habe mich aber definitiv dafür entschieden, wieder nach Deutschland zurückzukommen. Meine Beweggründe erkläre ich beim nächsten Mal.

Führung durch die New Yorker Steinway-Fabrik

Vor ein paar Wochen wurde ich von einem deutschen Bekannten aus meinem Wohnheim zu einer der wöchentlichen, aber Monate im Voraus ausgebuchten Führungen im New Yorker Steinway-Werk eingeladen. Er war zufällig über ein Nachrückverfahren an zwei Plätze gelangt. Die Führung (übrigens kostenlos) begann in einem Büro-Bereich, wo wir - eine Gruppe von ca. 20 Leuten - erst einmal instruiert wurden: Bitte schaut wo ihr hinlatscht, schön zusammenbleiben, rennt nicht in eine Bohrmaschine wie die dämliche Touristin vor sechs Monaten ("You are only here today because the drill [Bohrer] was off [ausgeschaltet]"). Außerdem herrschte strenge Schutzbrillenpflicht und Fotografierverbot bis auf eine Ausnahme.

Wir sind durch sehr viele Hallen gekommen, Treppen rauf und runter, und haben einige Arbeitsschritte beobachten können. Beeindruckend war das Herstellen des Holzrahmens: Dazu werden einige dünne Holzbretter übereinander verleimt und dann mit vereinter Manneskraft mit Schraubzwingen und Rahmen um eine Flügelform fixiert, wo sie dann trocknen müssen. Die Handgriffe waren so genau koordiniert, dass die Arbeiter ohne Worte auskamen. Außerdem sahen wir, wie die Mechanik hergestellt wird, der Resonanzboden, viele aneinandergereihte Flügel, Gussrahmen und restaurationsbedürftige Instrumente und bekamen jeder einen ausgemusterten Filzhammer geschenkt. Am Schluss durften wir noch kurz einen Konzertflügel anspielen. Ich habe zwei Pianisten kennengelernt, einer davon hat einige Jahre in Hamburg als Musicalpianist gearbeitet.

Nachdem der Führer der Gruppe bemerkt hatte, dass ich eine Pianistin aus Deutschland bin, hat er mich gleich vor versammelter Gruppe gefragt, welche Unterschiede mir zwischen den Instrumenten auffallen und was man an den New Yorkern noch verbessern könnte. Das ist natürlich eine heikle Frage... Ich habe vorsichtig, aber wahrheitsgemäß geantwortet. Besonderen Einfluss wird das auf die Produktion vermutlich aber eher nicht nehmen :-)

Das Theaterprojekt meiner Uni, die Metropolitan Opera und ein Konzert mit Anne-Sophie Mutter

In der "Spring Break" vor einigen Wochen habe ich zum zweiten Mal am Fachübergreifenden Projekt mit Schauspielern, Designern, Regisseuren und Musikern aus dem Klassik- un Jazzbereich teilgenommen. Unsere Hausaufgabe war: Erschaffe einen eigenartigen Charakter in allen Einzelheiten. Die meiste Zeit der zwei Wochen wurde dafür verwendet, dass jeder der gut 20 Charaktere fast wie in einem Verhör vor versammelter Gruppe "ausgefragt" wurde. Zum einen, damit man sich selbst bzw. seinen Charakter besser kennenlernen konnte, aber auch, um ihn möglicherweise noch zu verändern. Häufig waren die Fragen so verstrickt, dass am Ende eine völlig unerwartete Szene herauskam. Eine Studentin zum Beispiel stellte sich als eben aus dem Gefängnis entlassene Mörderin ihres Ehemannes vor. Die Frager allerdings "fanden nur Unterlagen zu Kreditkartenbetrug", und über ein paar Umwege fand sie sich in einer Fernsehshow wieder, wo sie gleichzeitig ein Essen kochte, erklärte, wie Kreditkartenbetrug funktioniert und genervten Ehefrauen Mordmöglichkeiten an ihren Ehemännern auseinandersetzte.

Es gab auch eine in sich ruhende Japanerin die glaubte, früher mal ein Delfin gewesen zu sein, einen rattenfangenden Menschenhasser, der in der U-Bahn lebt und einen traurigen dicken jungen Mann, der mit einer Pappschachtel wie mit seinem verstorbenen Freund redete. Ich selbst war eine etwas durchgeknallte junge Frau in New York, die ursprünglich aus einem Kaff in Deutschland hergekommen war, um ihre künstlerische Seite auszuleben. Allerdings hat sie sich schon fünf Jahre in New York aufgehalten und kann sich nicht erinnern, was sie da gemacht hat (das hatte ich mir zwar überlegt, kam aber nicht raus im Interview). Zwischendurch sollte ich gleichzeitig am Klavier singen und abwechselnd zwei verschiedene Stücke spielen, jeweils ein paar Sekunden von diesem und jenem.

Klingt schräg. War es auch. Und hat wahnsinnig Spaß gemacht! Später wurden dann verschiedene Charaktere aufeinander "losgelassen" und wir haben eine kurze Szene erarbeitet. Diese Figuren werden zur Grundlage für ein späteres Stück, das in den nächsten Jahren entstehen soll.

 

Natürlich habe ich auch weiter die Kulturlandschaft in New York erkundet. Obwohl ich kein Opernfan bin, wollte ich die Metropolitan Opera doch mal von innen gesehen haben. Das Gebäude ist innen wunderschön, teilweise gestaltet von Chagall! Und die Leute dort sehen deutlich anders aus als die in der Philharmonie. Edler gekleidet, um nicht zu sagen, aufgetakelt. Sehen und gesehen werden. Sehr befremdlich finde ich das. Allerdings schaffte es Idomeneo von Mozart nicht, mich in knapp fünf Stunden zum Opernfan zu bekehren. Ich war einfach froh als es vorbei war und ich auch den nervigen Flötisten in der U-Bahn nicht mehr hören musste, der nach jedem Konzert im Lincoln Center dort spielt. Aber ich war immerhin mal dort.

 

In der Carnegie Hall war ich ebenfalls im Konzert: Sehr kurzfristig schenkte mir jemand eine Karte zu einem Kammermusikkonzert mit Geige und Klavier auf Spitzenplätzen. Es spielte Anne-Sophie Mutter mit ihrem langjährigen Pianisten Lambert Orkis, der für mich eine echte Entdeckung war. Beide haben wunderbar gespielt, auch wenn ich der großen Sonate von Respighi nicht so viel abgewinnen konnte. Klang für mich wie eine spröde, trockene Kopie der unglaublich guten Sonate von César Franck. Die zeitgenössische Komposition von Sebastian Currier, "Clockwork" allerdings fand ich sehr gut. Auch wenn meine (musikalisch eher wenig gebildete) Nachbarin fand, man müsse immer diese grauenhaften Stücke durchstehen bis man wieder die schöne Musik hören dürfte. Allerdings denken so vermutlich die meisten Konzertbesucher, die nicht gerade einen Faible für Neue Musik haben. Ich gebe zu, man hört sich da nicht so schnell ein. Aber das liegt nur an den festgefahrenen Erwartungen. Solche Stücke erschaffen ganz neue Eindrucksmöglichkeiten.

[Fun-Fact: Bei meinem Konzert in der Carnegie Hall wurde ich zunächst als "Anne Sophie Riegler" angekündigt. Woher das wohl kommt? Ich wurde doch tatsächlich gefragt, ob ich mich beim DAAD so angemeldet hätte? Klingt zwar wirklich nett, aber: Nein.]

Ein paar Anekdoten aus den letzten Wochen:

Vor ein paar Tagen habe ich an einem kleinen Meisterkurs eines Profs meiner Uni und in der Uni teilgenommen. Wenig Zeit, wenige Schüler, wenige Zuhörer. Danach wollte er noch kurz über die Zusammenstellung von Konzertprogrammen sprechen. Vorher aber erklärte er, er habe uns noch was mitgebracht... und reichte doch tatsächlich eine Blechdose mit selbstgebackenen Cookies herum. Sowas habe ich noch nie erlebt! Vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten New Yorker ihre Küche vermutlich nur an Thanksgiving benutzen.

 

Für Dienstag, den 7. März um 12:30 Uhr musste ich eine Verabredung absagen, die ich vor exakt fünf Jahren vereinbart hatte. Damals hatte ich mich mit einer anderen Studentin und einem Professor aus Würzburg getroffen, um über Zukunft, Karriere, Planung und ähnliches zu sprechen. Wir wollten uns in fünf Jahren wieder treffen und sehen, was daraus geworden ist. Sein Vorschlag für mich war, dass ich bis dahin von Konzerten leben sollte. Das habe ich zwar nicht geschafft, aber nicht im Traum hätte ich gedacht dass ich die Verabredung würde verschieben müssen, weil ich mich gerade in New York auf meinen Auftritt in der Carnegie Hall vorbereiten würde... :-))

 

Vor ein paar Tagen wollte ich eine Dose Kleingeld bei meiner Bank abgeben, das sich über die knapp zwei Jahre angesammelt hatte. Ich ging zur Filiale an der Ecke 14th Street (eine der bedeutendsten Querstraßen) und 5th Avenue (berühmteste Straße der Welt). Als ich der Dame das Kleingeld hinhielt sagte sie mir, einen Münzzähler gebe es nicht und ich solle die Münzen doch sortieren und von Hand einrollen. Ich muss echt ziemlich dämlich geglotzt haben und dachte, ich hätte sie vielleicht nicht richtig verstanden. Aber tatsächlich: Einen so ungewöhnlichen Service wie die Rücknahme und das Wechseln von Kleingeld bietet meine Bank an der 5th Avenue nicht an. Stattdessen verwies man mich an einen Automaten in einem Supermarkt. Der hat zwar 10% einbehalten, aber ich wollte wirklich keine Schachtel Münzen sortieren und von Hand aufrollen. Sehr merkwürdig trotzdem.

Klischees über die USA, New York, seine Bewohner, und was ich dazu denke:

Amerikaner sind dumm und ungebildet

Der High-School-Abschluss besteht aus Multiple-Choice-Aufgaben und im Grundstudium sind darum allgemeinbildende Fächer Pflicht. Ein geschätztes Familienmitglied von mir sagte mal: Die Amis sind entweder extrem schlau oder wahnsinnig blöd. Auch wenn das etwas übertrieben ist, ist was dran: Dadurch dass die Bildung hier etwas kostet und man sich in gute Schulen und Unis "einkaufen" muss, landen die Einkommensschwachen an schlechteren Schulen und, wenn überhaupt, Unis. Dadurch verdienen sie weniger, und ihre Kinder haben auch keine besseren Chancen... Außerdem ist das Homeschooling erlaubt und man kann seinen Kindern beibringen, was man will. Zum Beispiel auch, dass die Evolutionstheorie ein teuflisches Märchen ist. Wenn man dann noch Interviews zu politischen Themen sieht mit Bürgern, deren Gedankenwelt auf einem Standpunkt mit dem Radius Null beruht (frei nach Einstein), kann man sich gut vorstellen, woher dieses Klischee kommt.

Ich fühle mich hier als Mensch generell stärker bevormundet und viele Dinge werden so erklärt, dass sie auch der "dümmste Idiot" noch verstehen kann. So schien meiner Theorielehrerin mal  der Kommentar angebracht "If the old one (Arbeitsblatt) is messy (unübersichtlich), print out a new one". Dass Heißgetränke heiß sind, habe ich auch erst in den USA gelernt.

 

Amerikaner sind oberflächlich, aber freundlich

Freundlich sind sie dann, wenn man sie freundlich anspricht. Wenn man zur Rush-Hour in die U-Bahn einsteigen möchte, sind sie aggressiv und ignorant: Da bleiben viele einfach so dämlich stehen, dass vor ihnen ein Meter Platz ist und hinter ihnen die Leute nicht mehr in den Wagen reinpassen. Sowas geht mir nicht ins Hirn. Ansonsten wird man mit dem allseits bekannten "How are you?" begrüßt, und auch nach fast zwei Jahren New York weiß ich noch nicht, was ich darauf sagen soll. Am liebsten würde ich oft sagen "geht dich nichts an" oder "willst du das wirklich wissen?" aber das würde man genausowenig verstehen wie ein "See you later" wirklich auf ein späteres Treffen abzielt.

Generell finde ich schon, dass die Leute offener sind und man viel leichter ins Gespräch kommt oder auch angesprochen wird. Das ist oft sehr schön und unkompliziert. Wie eine amerikanische Freundschaft funktioniert, habe ich aber noch nicht ganz begriffen. Ich las kürzlich von einem Mann, dessen bester Freund an Aids gestorben ist. Obwohl er gesehen hat dass es ihm zunehmend schlechter geht, hat er nie nachgefragt. So sieht bei mir keine Definition von einem "besten Freund" aus. Meiner besten Freundin erzähle ich alles, und andererseits muss ich nicht wahnsinnig gut mit jemandem befreundet zu sein um zu Fragen ob etwas nicht stimmt, wenn ich ihm / ihr das über einen längeren Zeitraum ansehe.

 

Amerikaner sind übergewichtig

Leider - ja. Hier gibt es meinem subjektiven Empfinden nach deutlich mehr Dicke als in Deutschland. Und mit "dick" meine ich nicht "ein paar Kilos zuviel", sondern extrem und krankhaft adipös, so dass man sich manchmal wundert, wie der eine oder andere noch laufen kann. Dummerweise ist halt das günstigste Essen auch das ungesündeste: Fast Food. Damit sind wir bei:

 

In den USA ist das Essen schlecht

Das ist ein bisschen zu ungenau gedacht - es gibt hier genauso gutes Essen wie in Deutschland. Allerdings sind sowohl Nahrungsmittel als auch gekaufte Gerichte im Imbiss oder Restaurant unvergleichlich viel teurer als in Deutschland. Ich finde: Die Qualität bezahlbarer Lebensmittel ist deutlich schlechter. Und die Qualität eines durchschnittlichen Imbisses fällt hinter deutschen belegten Brötchen vom Bäcker auch zurück. Allerdings gibt es hier ein schönes Zwischending, das mir in Deutschland fehlen wird: Viele Angebote von höherwertigem Fastfood, zum Beispiel frisch gemachte Salate zum Mitnehmen für um die 12$ oder Buffets mit warmen Gerichten für 7$ pro Pfund (450 Gramm).

 

Amerikaner sind Umweltsünder

Meinem Eindruck nach leider: Ja, eindeutig. Ich laufe täglich an stehenden Autos oder LKWs mit laufendem Motor vorbei, die Motoren röhren wie überdimensionierte Rasenmäher. Im Winter heizt die Heizung auf Saunatemperatur und im Sommer kühlt die Klimaanlage auf 18° herunter. Es wird unglaublich viel Plastikmüll produziert durch Tüten, Verpackung, To-Go-Getränken und vor allem Wegwerf-Geschirr und -Besteck (das hier alltäglich benutzt wird). Treppenhäuser findet man nicht, manchmal sind sie gar nicht zugänglich - stattdessen fährt man auch vom zweiten in en ersten Stock mit dem Aufzug. Und so weiter. Das schmerzt beim Zusehen. Zwar gibt es auch ein paar Gegenbewegungen, aber eine ganze Kultur kann man nicht so leicht umkrempeln. Der erste Schritt wäre, überhaupt ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Die meisten denken vermutlich gar nicht erst darüber nach.

 

Amerikaner sind sehr christlich bzw. religiös

In meinem direkten Umfeld hat dieses Klischee keine Rolle gespielt. Aber: Auf der Straße und in der U-Bahn begegnen einem häufig Leute, die "missionarisch" tätig sind. Sie schreien (!) Bibelverse oder christliche Liebesbotschaften, haben Plakate auf dem Rücken, beten oder singen lautstark oder lesen für sich in der Bibel. Das gehört hier ganz normal zum Stadtbild dazu. Ich erinnere mich an so einen "Verrückten", der in Würzburg manchmal herumstand. Im geordneten Deutschland fällt das sofort unangenehm auf. Ein Freund erzählte mir außerdem, sein Biolehrer sei Kreationist gewesen. Aus verschiedenen Erzählungen kann ich nur ahnen, wie das Leben in den USA auf dem Land aussehen mag. Ich glaube, das kann man sich wirklich kaum vorstellen.

 

In den USA ist man stolz

Der Nationalstolz hat hier schon eine andere Ausprägung als im gebrandmarkten Deutschland, aber das gilt für jede Nation, die ich bisher besucht habe. Auf Konzertbühnen stehen z.B. manchmal amerikanische Flaggen. Generell ist hier aber der Stolz der Zugehörigkeit anders wahrnehmbar als in Deutschland - sehr stark spürbar bei den Schulen und Unis. Der junge Amerikaner ist stolz auf seine Uni, sie wird zu einer Art zweiten Heimat und Familie, man identifiziert sich stark damit und es gibt unzählige Gemeinschaftsfestivitäten und Fanartikel, die dies bestärken. Das Positive am Uni-Stolz ist, dass die Uni den Studenten gegenüber eine ganz andere Verantwortung übernimmt. Man sieht sich den Studenten auf eine gewisse Art weiterhin wie gegenüber Schutzbefohlenen verpflichtet, es gibt unzählige Gesprächs-, Hilfs-, und Beratungsangebote für alltägliche Fragen, Fragen zum Studium und auch größere Probleme wie Mobbing, Selbstmordgedanken und sexuelle Belästigung.

 

Vom Tellerwäscher zum Millionär

Nun mal was Positives: Auch dieses Klischee sehe ich recht gut bestätigt. Durch die Offenheit und "Durchlässigkeit" hier kann man viel leichter Kontakte knüpfen, ein Netzwerk aufbauen und an verschiedene Jobs gelangen. Wenn man in einen Aufzug steigt, hat man besser seine 30-Sekunden-Elevator-Pitch (Kürzest-Biografie) vorbereitet, denn vielleicht lädt einen ja der Chef einer großen Firma ein, noch ein paar Etagen weiter hoch zu fahren und bei ihm anzufangen zu arbeiten. Hier ist es auch viel normaler, dass Künstler einen Brotberuf haben und trotzdem Künstler sind - bis ihre Kunst sie irgendwann auch finanziell trägt. In Deutschland wird man bei einem "niederen Nebenjob" allzuleicht als "gescheitert" abgestempelt.

 

Und hier noch ein paar Eindrücke aus verschiedenen Bereichen:

Dies hier war ein improvisierender Straßenmusiker in einer U-Bahn-Station, der mich mit seinem Talent überzeugt hat:

Falls ihr noch andere Klischees von der Anne-Seite beleuchtet haben wollt, am besten kommentieren. Im nächsten Blog-Eintrag werde ich etwas dazu schreiben, warum ich mich trotz der süßen Versuchung dagegen entschieden habe, in New York oder in den USA zu bleiben. Hätte ich das angestrebt, wäre es möglich gewesen, und ich habe auch sehr lange darüber nachgedacht... mit dem Ergebnis: Deutschland, bald hast du mich wieder.

Außerdem gibt es eine lustige Liste: Woran erkennt man in New York zweifelsfrei Touristen?

 

Ich habe nun noch einen Monat New York vor mir, in dem ich ganz viele Leute treffen, ein paar Sehenswürdigkeiten besuchen und mit Freunden Abschied feiern möchte, in denen ich noch zwei Wochen Uni habe und eine Woche Besuch von einer Freundin aus Würzburg haben werde. Und dann wird es bittersweet heißen: See you soon!

 

Eure Anne

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Kommentare: 1
  • #1

    M. (Dienstag, 02 Mai 2017 01:07)

    Liebe Anne, ich freue mich, dass Du nicht in den USA bleibst, sondern "heim" nach Deutschland kommst!!!! Bis bald, genieße die letzten Wochen! M.