6 Blogeintrag am 9/11

Von besonderen Reiseüberraschungen, einem New Yorker Klavierfestival mit sehr speziellem Alt-Meister, meiner ersten CD-Aufnahme, einem ganz tollen Wohnheim, Verbindungen von Menschen und Zufällen, die das Leben nicht besser schreiben könnte und Annes ganz persönlichen Lebensweisheiten

 

Der letzte Blog-Eintrag ist wieder lange her und ich bekomme schon Beschwerde-E-mails. Es gibt eine gute Entschuldigung: Mitte Mai war das Semester zu Ende! Seit zwei Wochen bin ich wieder in New York und habe hier im Blog einiges aufzuholen, denn in der Zwischenzeit ist sowohl in Deutschland als auch in New York Spannendes passiert.

Semesterferien

 

Mitte Mai endete mein erstes Studienjahr hier in New York, worauf sogleich elterlicher Besuch anrückte (ich berichtete im letzten Blog-Eintrag). Im Juni folgte der Dreh für den BR (Hollywood hat seitdem noch nicht angerufen) und ich habe hauptsächlich viel geübt für bevorstehende Unternehmungen, über die ich gleich noch berichten werde.

Ende Juni schließlich habe ich New York für knapp drei Wochen verlassen, um in Europa Freunde und Familie zu treffen und bei meiner hochgeschätzten würzburger Klavierlehrerin Silke-Thora Matthies ein paar Unterrichtsstunden zu nehmen. Denn: Im August sollte ja meine CD-Aufnahme sein, und niemand kennt mich musikalisch so gut wie Frau Matthies. Sie ist zu einem Großteil "schuld" daran, dass ich heute so spiele, wie ich spiele (und übrigens auch daran, dass ich mich entschied, nach New York zu gehen, aber das ist eine andere Geschichte).

 

Mein Rückflug hielt zunächst einige Aufregung für mich bereit. Ich hatte nämlich einen Flug mit Zwischenlandung in Toronto gebucht. Die Flugzeit beträgt eine Stunde, mein Aufenthalt dort betrug eine Stunde (und ich dachte, wenn die das so buchen, wird das schon klappen) --- und die Verspätung des Fluges von New York nach Toronto betrug leider auch eine Stunde. So verbrachte ich also eine sehr unruhige Stunde auf dem Weg nach Toronto, wo ich gerade landete, als mein Anschlussflug das Bording eröffnen sollte. Ich rannte los, ausschauhaltend nach einem Schild, auf dem "Connecting Flights" steht. Wie ich feststellte, musste ich jedoch in Kanada zunächst offiziell einreisen. Zum Glück war keine Schlange am Schalter... nur ein netter junger Herr, der es schade fand, dass ich gleich wieder abhauen wollte und sein Monatsgehalt verwette, dass ich meinen Koffer auch noch abholen und wieder aufgeben müssen würde.

Als ich meinen Koffer hatte, erklärte ich einer wartenden Helferin mein Unglück und sie schob mich durch eine Tür zu einem Abfertigungsschalter, wo außer mir und der Angestellten keiner war. Die sah mich schief an, griff zum Telefon und erklärte "...here is a girl..." das eigentlich noch mitfliegen möchte. Sie nahm schnell meinen Koffer und sagte, sie wisse nicht, ob das noch klappt (ob dann mein Koffer ohne mich fliegen sollte oder wie? Keine Zeit zum fragen).

Also rannte ich durch den mir unbekannten Flughafen, drängelte mich bei den wirklich immer freundlichen Kanadiern in der Sicherheitskontrolle vor und geriet dort an die unfreundlichste Kanadierin, die mir in meinem Leben begegnet ist. Dummerweise stand vor mir nämlich ein Mann mit ungefähr 20 Hosentaschen, die alle einzeln inspiziert werden mussten (kein Witz!) und auch auf meine etwas brennende Frage, ob ich nicht einfach durch das Törchen gehen könnte, das nur zwanzig Zentimeter neben meinem für die andere Warteschlange stand, bekam ich die giftige Antwort, das gehe nicht und bei der Sicherheit gibt es keine Extras, sonst dauert es noch länger. Worauf mir sogleich eine nette Kanadierin, die hinter mir stand alles Gute wünschte, und ich solle das nicht so ernst nehmen...

Ich also schnell zum Gate gehetzt, wo sie schon den Spanngurt vor die Tür gemacht hatten, schön winken, hallo, hier bin ich, lasst mich rein! Zum Glück haben sie mich tatsächlich noch reingelassen. Meine Flugzeugabschnitts-Stewardess begrüßte mich mit den Worten, wo ich denn gewesen sei, sie habe mich schon vermisst? Wie nett, dass ich keinen Sitznachbarn hatte. Da konnte ich mich erstmal mit ein bisschen Schokolade beruhigen. In Frankfurt wurde ich dafür mit einem besonders erfreulichen ICE von der deutschen Bahn empfangen, das erlebt man auch nicht alle Tage.

Anfang Juli flog ich auch schon wieder (ohne Zwischenfälle) nach New York zurück, denn dort findet jährlich das "IKIF", das "International Keyboard Institute and Festival" meines Lehrers Jerome Rose statt. Das heißt, halt, ich musste in New York erst zwanzig Minuten auf meine U-Bahn warten, welche dann leider Local Stops ankündigte (= dreimal so oft halten) und sich schließlich gar auf eine völlig andere U-Bahn-Linie beamte, so dass ich mit meinem Gepäck noch ein bisschen öfter umsteigen durfte und noch ein bisschen länger brauchte, als sowieso schon. Bei 32° im Schatten. Willkommen zurück in New York!

 

Gastfamilienabschied

 

Der Juli war der letzte Monat, den ich bei meiner lieben Gastfamilie in der 131st Street in Harlem verbracht habe. Kurz nach meiner Rückkehr war ich zu einer großen Nachmittags-Party zu Ehren Friederikes eingeladen: Erstens hatte sie Geburtstag gehabt, zweitens, und vor allem, war diese Party eine "Baby-Shower". Also eine Feier zur Willkommensheißung des ungeborenen Babys, das für September erwartet wurde.

Die Baby-Shower fand mit viele Müttern, vielen Kindern und einigen Vätern in Queens statt, und ich staunte über den Aufwand und die Mühen, die man sich mit liebevoller Dekoration und dem Essen gegeben hatte. Da macht das Mama-werden gleich doppelt Spaß! Die Party wurde auch ganz wortwörtlich zu einer "Shower", denn mittendrin hat es einmal ordentlich gewittert und geregnet.

Den Hund, der eigentlich "Angel" hieß und den Eliana mit felsenfester Überzeugung inzwischen "Jojo" getauft hat, bleibt in der Familie. Die ursprüngliche Besitzerin kann sich nicht mehr um ihn kümmern. So hatte ich für einige Wochen tatsächlich das Hundeglück, was ich mir schon lange gewünscht habe. Der Lieblingsplatz des kleinen Staubwedels ist "unter" - unter dem Tisch, unter der Zimmerpflanze, unter der Kommode, und vor allem unter dem Bett. Sehr gerne unter meinem. Und zwar so, dass nur die Nase herausschaut - die Luft scheint nicht so berauschend zu sein da unten.

Der Abschied von meiner Gastfamilie fiel mir nicht schwer, denn ich bin ja noch in der Gegend. Seit ich nun im September wieder hier bin, habe ich sie auch schon mehrfach besucht - dazu später mehr.

 

Das Klavierfestival

 

Mitte Juli begann das "IKIF", zu dem (überwiegend) junge KlavierstudentInnen und Pianisten von überall her nach New York reisten. Zum 18. Mal fand dieses Festival, das mein Lehrer gegründet hat, in New York statt. Es dauert immer zwei Wochen und beinhaltet für die aktiven Teilnehmer Klavier-Meisterkurse bei vielen verschiedenen Professoren, jeden Abend ein Klavierrecital und am Ende einen kleinen Klavierwettbewerb. Die Dozenten sind teilweise aus den USA, teilweise von woanders (auch Deutschland war vertreten). Zugesichert werden einem drei Unterrichtsstunden pro Woche, die man je nach Kapazität bei beliebigen Dozenten einlösen darf. Praktisch - und das wurde auch so kommuniziert - durfte man soviel Unterricht nehmen, wie die Dozenten zu geben bereit waren.

Manche Musikstudenten gehen jeden Sommer auf solche Festivals, die teilweise sogar ein- bis zwei Monate dauern. Wie die das finanzieren, weiß ich wohl nicht, denn es sind bei großen Festivals leicht mehrere Tausend Euro für Unterbringung, Verpflegung und Unterricht fällig, allerdings gibt es bei vielen auch Stipendien. Die Unterbringung in New York war ja gewährleistet, und die Unterrichtsgebühr ist für mich als Roses Studentin geringer ausgefallen - ein edler Zug meines großzügigen Herrn Lehrers. Zum Festival nun ein paar genauere unterhaltsame Einblicke. 

 

Der Unterricht und die Konzerte

Jede Unterrichtsstunde dauerte 60 Minuten, und sämtliche Unterrichte waren für aktive und passive Teilnehmer des Wettbewerbs zum Zuhören geöffnet. Wenn man also nicht ständig selbst üben wollte, konnte man so allen Lehrern zuhören. Manche Stunden fanden auch in einem kleinen Konzertsaal statt, wo mehr Meisterkurs-Atmosphäre aufkam. Dort habe ich auch vier Unterrichtsstunden erhalten. Die unterrichtenden Dozenten waren zwischen 25 und 82 Jahren alt (hier findet man alle, die gespielt und / oder unterrichtet haben).

Meine Unterrichtsstunden waren qualitativ und inhaltlich unterschiedlich. Manche Lehrer kann ich nicht so ernst nehmen wie andere, wenn ich das Gefühl habe, dass sie mir ausschließlich ihre spontane Meinung mitteilen - die zwar daseinsberechtigt, interessant und bedenkenswert sein kann, aber nicht dem übergeordneten Vervollkommnungsziel des Stückes dient, beziehungsweise dem Ziel, mein (noch) diffuses inneres Bild und Idealziel "in Töne" zu fassen. Mir tut das dann immer leid, weil ich vermute, dass man es mir anmerkt. Aber was soll ich machen...

 

Manchmal, selten wird dieser Eindruck auch widerlegt. Einmal schlich ich mich in einen Unterrichtsraum hinein um zuzuhören, doch wie sich herausstellte, sollte ich bitte spontan selbst spielen - der Schüler war nämlich nicht erschienen. Die Dozentin hatte so Spaß am Unterricht mit mir (oder so einen Mangel an Schülern), dass sie mir noch zwei weitere Unterrichtsstunden außerhalb des Stundenplans gab. Das fand ich anstrengend, weil sie den für mich charakterlich "asiatischen" Unterrichtsstil pflegte - sie stand oft sehr nahe an mir und Instrument, spielte oder sprach, während ich spielte, unterbrach mich häufig und schnell und ihre Meinung war "das Richtige". Ich weiß, dass das oft nicht vehement oder gar böse gemeint ist, aber auf Dauer macht so ein Unterrichtsstil mich aggressiv. Ich brauche Raum und Diskussion auf Augenhöhe. Dennoch waren ihre Vorschläge hilfreich und bedenkenswert, deshalb bin ich wieder hingegangen.

 

Sehr "besonders" war ein Meisterkurs des 82-Jährigen Philippe Entre mont (dessen Nachnamen ich nur wegen Google mit einem Leerzeichen versehe), der eine französische Berühmtheit an Pianist ist (muss mir entgangen sein). Jerome Rose persönlich entschied darüber, welche vier glücklichen Teilnehmer eine 40-Minütige Unterrichtsstunde beim großen Meister vor Publikum erhalten sollten, und ich war eine davon. Wie erwähnt war jeden Abend ein Klavierabend im großen Saal des Hunter College, wo das Festival stattfand, und am Abend vor dem Meisterkurs sollte Philippe E. spielen. Ich war auch dort. Jedenfalls am Anfang. Leider muss ich ehrlich sagen - und in meinem persönlichen Blog hoffe ich, das zu dürfen - dass von den ehemals grandiosen Tastenkünsten nur noch ein Schatten übriggeblieben ist, der zwar die musikalische Weisheit weiterhin spüren lässt, aber mir als sehr, sehr anspruchsvollen Höhrerin besonders wegen der hohen Erwartungshaltung ein Grausen bereitet hat. Das konnte ich nach einem ganzen Tag voll Üben, Zuhören und Unterricht nicht ertragen und ich bin in der Pause gegangen. Sagt's nicht weiter.

 

Am nächsten Tag kam ich in Alltagskleidung zum Meisterkurs und traf im Flur den Aufnahmeleiter Jo, der mich begrüßte mit den Worten "Willst du so spielen? Find ich gut." Ich: "Äh... Ist doch nur eine Unterrichtsstunde, oder?" Ich kam in den Saal und sah, dass alles gefilmt und aufgenommen werden sollte und lief meinem Lehrer J.R. in die Arme. "Das kommt ins Fernsehn! Hast du nichts anderes zum Anziehen?" Ich: "???!" Warum hat mir das keiner gesagt?"

Schließlich stellte sich heraus, ins Fernsehen kommt gar nichts, sondern nur auf YouTube, vielleicht, und ein blauer Kaschmir-Pullover aus dem Rucksack war auch gut genug. Wenn denn der Meister mal kommen würde.

Wir warteten und warteten, fünf Minuten, zehn, fünfzehn, er kam nicht. Angesichts seines fortgeschrittenen Alters stellten sich langsam Sorgen ein. J.R. beschloss schließlich, dass er selbst unterrichten würde, da man ja die Aufnahme bezahlt hatte und das Publikum wartete. Als ich gerade ein bisschen gespielt hatte und Rose zu Sprechen beginnen wollte, kam der Meister ohne ein Wort der Entschuldigung zur Tür herein mit 45 Minuten Verspätung, und unterrichtete doch selbst. Obwohl meine Unterrichtszeit faktisch schon vorüber war, ließ er mich den gesamten Tombeau de Couperin von Ravel spielen (allein die Spielzeit beträgt schon fast 30 Minuten). Seine spärlichen Kommentare allerdings beschränkten sich auf ein paar komische Fingersätze, Dynamik- und Tempohinweise. Er verlangte von mir ein so leises Piano, dass ich hinterher aus dem Publikum die Rückmeldung erhielt, man hätte nichts mehr gehört. Die furiose Toccata sollte ich im halben Tempo spielen (dem, was für den Meister noch machbar wäre?). Meine Abneigung gegen seine Fingersätze schien er zu spüren, denn nach zehn Minuten fragte er "You don't like me, eh?" Ich konnte schlecht sagen, dass ich seinen blöden Fingersatz schon vor drei Jahren verworfen hatte. Für den Rest der Zeit ließ er mich damit zum Glück auch in Ruhe und sprach nur noch über Gestaltungsdinge, die interessant waren, wenn auch nicht livechanging. Als er merkte, dass ich spielen kann war er sehr freundlich, und ich spürte durchaus den großen Geist der musikalischen Weisheit zu mir herüberwehen -

 

Allerdings - viel anregenderen Unterricht erhielt ich von ein- bis zwei Generationen jüngeren Pianisten, wie zum Beispiel einer Kölner Jungprofessorin und einem Pianisten, der gleichzeitig auch Dirigent ist. Mit einem russischen Pianisten hatte ich eine sehr interessante Unterhaltung. Er war nämlich nach zehnjähriger Verweildauer in den USA nach Sankt Petersburg zurückgekehrt - genau zu dem Zeitpunkt, als ich auch dort war - und lebt seitdem in meiner unmittelbaren damaligen Nachbarschaft. Da haben wir aber gestaunt. Es soll nicht die einzige überraschende Verbindung bleiben - später mehr...

 

Die Abendkonzerte haben mir unterschiedlich gut gefallen. Es gab die altersbedingt nicht mehr ganz so überzeugenden Konzerte, ein Konzert eines Pianisten, der eigentlich eher Musikwissenschaftler war und auch so spielte, ein technisch absolut atemberaubendes Konzert des Jungstars George Li, das aber noch ein wenig wie ein unmöbliertes Fertighaus mit hübscher Fassade wirkte, Konzerte von höchster russischer Leidenschaft, ein Konzert, das von vorne bis hinten (vermutlich - die zweite Hälfte fand ohne mich statt) in derselben Klangfarbe gespielt war, sowie ein Konzert mit einer letzten Schubert-Sonate, die eine Atmosphäre erzeugte, für die das englische Wort "awkward" wie geschaffen ist. Es bezeichnet eine Mischung aus unangenehm, peinlich, ungeschickt, beklemmend usw.

Dazu muss man wissen: Die letzte Klaviersonate von Schubert schrieb dieser im Angesicht seines Todes innerhalb kürzester Zeit, sie dauert fast 45 Minuten und ist klanglich eines der schwierigsten Klavierstücke überhaupt (rein technisch dagegen kann sie auch so mancher Laie daherspielen.) Das Stück besitzt eine Größe und Ruhe, wie man sie kaum in anderen Stücken findet bei gleichzeitiger Schlichtheit, aber auch besonderer Schönheit und Frieden - während aber gleichzeitig immer etwas Drohendes brodelt, das man meistens nur dunkel erahnen kann. Besagter Pianist spielte diese Sonate nun in so extremen Tempi (die meisten sehr langsam) und leise, dass man 45 Minuten lang seinen Nachbarn atmen und schlucken hören konnte und es sich fast anfühlte, als würde eine große Menschenmasse so lange zusammensitzen und schweigen. Für diese Atmosphäre bewundere ich den Pianisten, aber den gemeinhin aufgefassten Sinn der Sonate hat er nicht getroffen (mein Sitznachbar munkelte gar, er hätte sich mit diesem Konzert über eine zu niedrige Gage beschwert?).

Am meisten überzeugt haben mich zwei deutsche und ein italienischer Pianist: Der ehemalige würzburger Student Alexander Schimpf, der mir einst Jerome Rose als Lehrer empfohlen hat spielte eine meisterhafte Sonate op.111 von Beethoven, und Gesa Lücker und ihr Mann Gabriele Leporatti zauberten ein wunderschönes Doppelkonzert von Mozart mit Streichorchester dahin. Auch der Russe Ilya Yakushev spielte ein tolles Klavierkonzert von Schostakowitsch für Trompete und Streichorchester.

 

Der Wettbewerb

fand in drei Runden statt, für die man insgesamt 80 Minuten Programm brauchte. Ich habe überwiegend mein CD-Programm angegeben, das zum Teil aus vielen kurzen Stücken von Ravel und einzelnen anderen Komponisten besteht. Mit diesem Programm habe ich es immerhin in die zweite Runde, das Halb-Finale des Wettbewerbs geschafft und ein kleines "MacKenzie Scholarship" gewonnen. Sehr interessant war, dass ich hinterher mit einigen Jury-Mitgliedern über die Entscheidungen sprechen durfte. Dort erfuhr ich wieder einmal, wie unterschiedlich die Meinungen sind, dass bei mir das nicht so wettbewerbstaugliche Programm nicht unwichtig für die Entscheidung war und mich mancher gern im Finale gesehen hätte, und aus welchen überraschenden Gründen andere ins Finale gelangt sind. Daher wieder die Erkenntnis: Wettbewerbe sind zu einem Großteil auch Glück, viel persönlicher Geschmack und Zufall. Eine andere Jury hätte vermutlich nicht genauso entschieden. Wirklich.

 

Feucht-Fröhliches Ende

Nach dem Wettbewerb drückte mir ein Deutscher einen Zettel in die Hand mit den Worten, er käme jedes Jahr und ich könnte ja mal bei ihm ein Hauskonzert spielen, wenn ich zurück sei. Gerne, danke! Für den Abend hatte mein Lehrer die Dozenten, die Preisträger des Wettbewerbs und alle, die sich sonst irgendwie einschleichen konnten in seine Wohnung zur Abschlussfeier eingeladen. Die war äußerst unterhaltsam. Es gab selbstgekochte Spaghetti, Käse, Kuchen und andere Snacks, man konnte einem jungen Pärchen bei der stündlich wachsenden Annäherung zusehen, Dozenten erzählten aus dem Nähkästchen. Mit zunehmend fließendem Wein wurden auch die Finger lockerer, und irgendwann wurden die Pianisten genötigt, Jazz zu spielen. Schließlich setzte sich sogar mein Lehrer ans Klavier und tat Dinge, die ich ihm niemals zugetraut hätte :-) Und dann fing ein spontan gegründeter Männerchor an, genauso spontan am Klavier beglittene Heldentenor-Arien zu schmettern. Es gibt unzweifelhafte Beweise! Aber die behalte ich für mich... grins!

 

Die CD-Aufnahme

 

Einen Tag nach Ende des Festivals flog ich zurück nach Deutschland zu meinen Eltern, denn von 8.-10. August hatte ich endlich meine Aufnahme in Wechterswinkel. Mit dabei die ganze Zeit Heiner, der junge Tontechniker, und Georg, ein langjähriger Freund von mir, der so ziemlich alles kann, unter anderem auch Fotos machen und Klaviere reparieren. Wir verwendeten zunächst viel Zeit darauf, die Mikrophone so aufzustellen, dass wir einen zufriedenstellenden Ravel-Klang erreichten (zwei unter dem Flügel, zwei daneben in Kopfhöhe und zwei zehn Meter dahinter), und dann ging es an die Aufnahme. In den Pausen konnten wir uns im schönen Innenhof erholen, und einmal hielt ich ein kurzes Schwätzchen mit dem sehr betagten Aussteller der Kunstausstellung im Untergeschoss, der mir sehr interessante Geschichten über seine teilweise lebensgroßen Figuren erzählte.

Jedes Stück spielte ich mehrere Male, und am Abend waren wir immer alle fix und fertig von soviel Musik und Konzentration und konnten uns von den wunderbaren Strapazen bei bestem deutschem Wetter und hervorragender mütterlicher Verköstigung im Garten meinen Eltern erholen.

Am dritten Tag kam noch eine Freundin von mir dazu, Julia, die eine einzige Arie gesungen hat. Das Programm ist nämlich ein besonders durchdachtes: Mein hochgeschätzter Komponist Maurice Ravel hat einige kürzere und längere Stücke komponiert (allen voran mein Herz-Stück "Le tombeau de Couperin"), in denen er auf frühere oder zeitgenössische Komponistenkollegen Bezug nimmt. Namentlich auf Couperin (barocker Franzose), Haydn (wiener Klassiker), Chabrier (französischer Romantiker) und Borodin (russischer Romantiker). All diese Stücke von Ravel habe ich aufgenommen und mit Originalkompositionen der Porträtierten kombiniert. Das hat vorher noch niemand gemacht. Und da das eine Stückchen von Ravel nunmal eine Opernparaphrase ist, wollte ich der Vollständigkeit halber auch die (kurze) Arie dabeihaben.

Am Abend des dritten Tages spielte ich das ganze Programm sogar noch einmal vor Kameras, denn wo wir schon einmal dabei waren, konnten wir ja auch gleich noch filmen. Am dritten Tag verließen wir, nachdem wir alles wieder abgebaut und aufgeräumt hatten, den Aufnahmeort gegen 11:30 und verspeisten noch eine Pizza, die laut meiner Mutter zweieinhalb Stunden im Ofen gebacken hatte. In den Tagen danach war ich so erschöpft wie schon lange vorher nicht mehr. Aber es hat sehr viel Spaß gemacht, auch deshalb weil die Zusammenarbeit mit meinen Aufnahme-Kollegen super gut funktioniert hat (danke Heiner fürs Aufnehmen, Georg fürs Zuhören, Fotografieren und Werkeln, Julia fürs Singen, Mama fürs kochen und Papa für das Zusammenschrauben des Bettes...).

Im Moment arbeiten wir an Schnitt, Cover und anderen Dingen, die noch getan werden müssen. Die CD wird voraussichtlich Anfang 2017 beim Label Tyx-Art erscheinen - wenn alles klappt, habe ich aber schon (eine begrenzte Anzahl an) CDs vor Weihnachten zur Verfügung. Vorbestellungen nehme ich ab sofort entgegen ;-)

(C) Beim wunderbaren Georg Sturm aus Lippstadt

 

NYC: International House 2.0

 

Die verbleibenden zwei Wochen, die mir noch bis zu meiner Rückreise nach Amerika blieben, verbrachte ich zur Hälfte mit meiner Familie im Urlaub und zur anderen Hälfte bei Freunden in Würzburg, meiner Oma, einer Freundin in Köln und zu Hause bei Heiner, beschäftigt mit Anhören und Schnitt.

Nach meinem Rückflug nach New York wollte ich sogleich in meine neue Temporärheimat ziehen: Das International House, kurz I-House (die Amis lieben Abkürzungen, darüber könnte ich einen ganzen Blog-Eintrag schreiben). Als ich mich vor einigen Monaten bewerben wollte, dachte ich, es handele sich um ein ganz normales, nicht an eine Uni gebundenes Wohnheim. Nachdem ich aber mein Innerstes nach außen gekehrt, meine finanzielle Situation der letzten 50 Jahre offengelegt, meine gesamte Education eingereicht und nicht weniger als sechs Essays (Aufsätze) geschrieben hatte, war mir klar, dass das nicht ganz stimmen konnte. Nein, "I-House" möchte "global Leaders" ausbilden und nur die "brightest" von allen aufnehmen. Da habe ich aber Glück gehabt, dass ich zu den 25% gehöre, die ein Zimmerchen bekommen.

Das meine ich tatsächlich ganz unironisch, besser hätte ich es kaum erwischen können. Ich habe ein Einzelzimmer - klein, aber mit allem was man braucht. Es gibt eine recht gute Mensa, wo ein richtiges Essen nur (!) ca. 6-7$ kostet und frisch zubereitet wird, das woanders vermutlich 10-15$ kosten würde. Es gibt riesige, historische Aufenthaltsräume, Waschräume, jede Menge "Events", wo hochkarätige Leute eingeladen werden, und vor allem gibt es 24/7 Überäume. Das bedeutet, dass ich nicht an jedem Tag, an dem ich üben will, in die Uni pendeln muss. Was für eine Erleichterung!

 

Als mir klar wurde, wo ich jetzt wohne - nämlich genau auf der anderen Seite von Harlem - fiel mir wieder einmal auf, wie lustig einem das Leben manchmal spielt. Meine neue U-Bahn-Station, die 125th der roten 1er-Linie, liegt überirdisch auf einer Art Brücke und fährt kurz vorher erst aus dem Untergrund heraus. Dieses Stückchen New York war das erste, was ich von Manhattan vor anderthalb Jahren gesehen habe, als ich im März 2014 zur Aufnahmeprüfung anreiste. Denn nur eine Station weiter (137th) bin ich damals ausgestiegen, um in meine AirBnB-Unterkunft zu gelangen. Und vorher hatte ich von Manhattan nur U-Bahn-Wände gesehen. Mit was für andern Augen ich jetzt die Häuser sehe, an denen ich damals zum ersten Mal und inzwischen fast täglich vorbei fahre... Hätte ich das gewusst!

 

Zurück zum I-House. Manches ist auch ein wenig merkwürdig. Am ersten Abend war ich zum Beispiel zu dumm, die Dusche anzustellen (wie war das mit "the brightest of all applicants?"). Wer kommt auch so leicht darauf, dass man den gesamten Armaturen-Griff waagerecht herausziehen muss, um das Wasser zum laufen zu kriegen? Drücken, drehen, schieben, Hebel bewegen, alles schon gehabt. Aber sowas...?

Beim Willkommens-Frühstück habe ich mich unter anderem mit einer Angestellten "Resident Social Worker" unterhalten, die es ganz toll fand, dass ich aus Bayern komme, denn da war sie auch schonmal. "Ja, wo denn?" "Also... in Würzburg..." "WIE BITTE?" Tja. Da hat sie eine Tante. Und überhaupt mag sie total gerne Klaviermusik. Nur nicht diese dressierten Affen, da wäre ja nichts dahinter. Und so. Und hat mich gleich mal für eine Veranstaltung im I-House als Pianistin eingeschleust. Danke!

 

Ein paar Tage später gab es eine weitere Einführungsveranstaltung, wo einem die Regeln, Infos und Werte ("Respect, Empathy, Moral Courage!") in Form eines unterhaltsamen Quizzes nahegebracht wurden (vorher natürlich mit sehr leckerem Buffet). Das Ganze fand in der hauseigenen Mehrzweckhalle statt. Vorher begrüßte uns der Präsident mit der amerikanischen, freundlichen Überschwänlichkeit, dass wir die besten Bewerber sind und so stolz darauf sein sollen, hier sein zu können, und dies eine einmalige Chance sei, denn hier wohnen 700 Studenten aus 100 verschiedenen Ländern. Er hat ja auch Recht :-) Es gibt sogar einie berühmte unter den 65.000 Alumni des I-house (die natürlich im Quizz auftauchten), zum Beispiel die Choreographin Pina Bausch, ein ehemaliger Präsident von Tanzania, der Chef der Citi-Group, und einige Nobelpreisträger.

Alles ist sehr gut organisiert, es gibt für jeden Flur einen Studenten, der für Flur-Veranstaltungen verantwortlich und Ansprechpartner ist. Das Haus besteht aus einem Nord- und Süd-Haus, hat zehn Stockwerke von 1-10 sowie ein A, B und C-Level, die je nach Hausseite mal Erdgeschoss sind und mal nicht, es gibt unzählige Treppenhäuser (natürlich keines von oben nach unten, denn Treppenhäuser sind in den USA ja nicht für die Benutzung gedacht), Aufzüge, Flure und Gänge, und ich muss mir das hier ganz langsam erschließen. Im Aufzug grüßen mich immer Leute, die ich nicht kenne. Ich bin ja kein Elefant. Leider. Denn ich habe den Eindruck, die kennen mich...

 Hier kann man sich ein paar der beeindruckenden Räumlichkeiten ansehen. Es sieht in echt auch wirklich so aus.

Achja, und ich darf Übernachtungsgäste haben. Allerdings ist nur wenig Platz.

 

Die Überschrift "2.0" habe ich gewählt, weil ich in Sankt Petersburg ebenfalls in einem International House (wenn auch nur für Studenten des Konservatorium) gewohnt habe. Das könnte gegensätzlicher kaum sein. Die Zimmer waren riesig, dafür sehr heruntergekommen und man wohnte zu zweit im Zimmer. Gemeinschaftsräume gab es, bis auf einen Computerraum und einen meist abgeschlossenen weiteren Raum, keine, und auch sonst überhaupt nichts, abgesehen von ein paar Angestellten. "Die Seele", die Internationalität war aber dort ebenso vorhanden wie hier, auch wenn die Zusammensetzung nicht ganz dieselbe ist. Ich bin gespannt, ob es hier auch so coole Pizza-Parties geben wird! Sicher wird es anders sein, denn hier wohnen vermutlich fast zehn mal so viele Leute.

 

Jahres- und Geburtstage

 

Ich bin ganz gut darin, dort wo ich bin Jubiläen mitzuerleben. Als ich in Sankt Petersburg war, hatte das Konservatorium 150-jähriges Jubiläum, und ich meine mich an ein 300-jähriges Stadtjubiläum zu erinnern (wobei Wikipedia sagt, es sei das 310. gewesen. Aber was sind schon zehn Jahre). Olga, bei der ich damals ein paar Wochen gewohnt habe und die mich überhaupt erst eingeschleust hatte, wurde 50.

In New York studiere ich im 100. Gründungsjahr am Mannes College und besuche eine deutsche Kirche, die letzten Sonntag 175-jähriges Bestehen gefeiert hat. Zu diesem Ereignis, welches zufällig am vierten September stattfand (dem vierten Jahrestag meiner Ankunft in Sankt Petersburg) spielte ich vierhändig mit einer russischen Pianistin, welche denselben Lehrer hatte wie meine Sankt Petersburger Lehrerin (nämlich Dimitry Bashkirov), und sie sehr gut kennt. Sachen gibts!

Auch ein trauriges Jubiläum habe ich (wenn auch passiv) miterlebt - heute vor 15 jahren war sozusagen zum ersten Mal der Elfte September. Gleichzeitig ist auch ein sehr freudiger, erstmalig aufgetretener Jahrestag zu vermelden: Friederike hat vor wenigen Tagen einen gesunden Sohn geboren. Leider konnte ich ihn noch nicht besuchen, da ich mir trotz 30° Nachtschattentemperatur eine arge Erkältung eingefangen habe (diese Klimaanlagen sind immer nur da, wo man sie nicht braucht... und wo man sie wünscht, z.B. in meinem Schlafzimmer, gibt es keine. Aber ich gebe zu, ich möchte einfach nicht 40$ dafür pro Monat bezahlen müssen. 19 Grad in der Uni sind aber auch nicht wirklich wünschenswert, oder?).

 

Studienbeginn

 

Schließlich kann ich noch von meinem Studienbeginn berichten, der nun auch schon ganze zwei Wochen her ist. Ich finde, ich habe mir wieder interessante Fächer ausgesucht, nämlich:

 

- "Fortepiano" - so heißt hier das Hammerklavier. Meine Lieblingszeit der Hammerklaviere (nämlich die aus den 1840er Jahren, also die, auf denen Chopin komponierte und auch teilweise Liszt, Schumann, Mendelssohn usw.) interessiert zwar irgendwie nur mich, aber auch ein Hammerklavier der Mozart/Beethoven-Ära ist interessant zu spielen. Es gibt keine Fußpedale, sondern Kniehebel (die genau das sind, wonach sie klingen), der Klang ist leiser und schwächer, die Tasten kürzer, schmaler und leichter.

- Ein weiterer Kurs, der ich mit Marketing, Selbstmanagement und Social Media beschäftigt

- "Producing a classics Concert" - wir gehen in eine Schule in Brooklyn und führen ein klassisches Konzert durch, für das wir die Schüler vorher vorbereiten (und uns natürlich auch)

- Feldenkrais, eine ganz erstaunliche Entspannungs- und Körberbewusstseins-Technik, die allein durch kleine, angeleitete Bewegungen und Gedanken wirkt. Man steht auf und nimmt plötzlich die Härte des Bodens unter den Füßen wahr. Und man kann beim Musizieren besser die idealste, am wenigsten Kraft kostende Bewegung finden. 

- Als Kammermusik werde ich vermutlich in die Extreme gehen und ein Werk von Ligeti spielen, sowie Generalbass in einem Barockensemble

 

Außerdem habe ich meinen kleinen Lehrauftrag für Erstsemester mit null Klaviererfahrung. Sieben bis Zehn Studenten (noch unklar). Um acht uhr morgens. Da lacht das Studentenherz! Leider konnte bisher kaum geordneter Unterricht stattfinden, weil meine Schüler entweder nicht da waren (falscher Raum) oder kein Buch dabei hatten ("häää" / "wurde noch nicht geliefert" / "in der U-Bahn vergessen" / "ich war letzte Stunde in nem anderen Kurs"). Beibringen soll ich ihnen sämtliche pianistische Grundlagen, also: Einfache Stücke spielen, mehrstimmig spielen, Improvisieren, Generalbass, vom Blatt spielen, Begleiten, Tonleitern, Kadenzen, einfache Musiktheorie anwenden. Mit einmal die Woche 50 Minuten in der Gruppe um acht Uhr morgens, bis Weihnachten. Wird schon. Fleißig üben.

 

Meine persönliche Empfehlung

 

Und das späte Wort zum Sonntag lautet: Ich kann nur immer wieder empfehlen, mal weit, weit weg zu gehen von zu Hause, am besten allein, am besten wohin, wo man so richtig klein und hilflos ist. Wo man sich im Wohnheim aus dem Zimmer ausschließt und dann nicht erklären kann, was los ist und sich anmeckern lässt (Russland), wo man verzweifelt kurz vor der Deadline versucht, Geld zu überweisen, was vorhanden ist, aber nicht so leicht von A nach B gebracht werden kann (USA), wo man sich mit unverständlichen, sehr ärgerlichen und nervenaufreibenden Unterlagen und Behörden herumquält (Russland und USA), wo man sich nachts um zwei mit Gepäck in einem Stadtteil verläuft, der nicht gerade für seinen sicheren Ruf bekannt ist.

Wo man nicht weiß, wie man die Leute ansprechen soll, weil man die Gepflogenheiten noch nicht versteht, wo man Lacher ertragen muss, weil man aus versehen die 7 mit der 1 verwechselt hat, wo man in einem baufälligen Loch wohnt und sich der Uni verirrt, wo man Fristen verpasst, dumme Fragen stellt, verzweifelt und völlig ahnungslos ist.

 

Denn: Das kann man üben! Mit elf Jahren bin ich von NRW nach Bayern gezogen - das war fast wie Ausland. Da hatte ich aber meine Familie dabei. Mit sechzehn war ich drei Monate in Frankreich in einer Gastfamilie, da hatte ich zwar nicht meine, aber eine andere voll verantwortliche Familie um mich, und Frankreich und Deutschland sind sich genauso ähnlich wie NRW und Bayern ;-) Im Studium war ich zunächst in Sankt Petersburg, dort wäre ich ohne die mütterliche, anfängliche Hilfe von Olga in sämtlichen Belangen des alltäglichen, universitären und bürokratischen Lebens völlig verloren gewesen. Und nun bin ich, ganz ohne Hilfe, in New York. Immerhin kann ich Englisch. Jedes Mal bin ich ein Stückchen selbstständiger geworden und vor allem selbstbewusster. Ganz egal, ob und wie man in eine unangenehme Situation gerät, es gibt immer (immer!) einen Weg hinaus, wie verzweifelt man auch sein mag, und gefressen hat mich bisher auch keiner.

 

Dafür habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich mich überall sicher bewegen kann, ich habe den Großstadtblick gelernt, ein besseres Gespür dafür, wie unterschiedliche Menschen und Mentalitäten funktionieren und kenne das "verzweifelte Anfangschaos". Es ist wie mit der Aufregung beim Vorspielen. Sie geht nie ganz weg, aber wenn man sie kennt, kann man mit ihr umgehen. Von den ganzen positiven Dingen die einem (immer!) passieren, habe ich jetzt noch gar nichts geschrieben, denn die negativen Dinge sind ja auch schon positiv. Darum: Macht euch vom Acker, solange ihr noch könnt.

 

Eure Anne

 

PS:  Wie ging es eigentlich weiter mit...

 

... dem Geiger Stefan Arzberger? Er ist im Juni endlich wieder zurück nach Deutschland gekommen - wenn man ein bisschen sucht, findet man auch in den Medien etwas darüber. Ich habe mich sehr für ihn gefreut und hoffe, dass alles gut für ihn weitergeht.

 

... dem afghanischen Flüchtling Milad? Der hat tatsächlich die Aufnahmeprüfung bestanden, die letztendlich spontan schon für August 2016 angesetzt wurde. Er ist jetzt mein Studienkollege und hat so viele Credits belegt, wie das System zulässtt. Sein Studienbeginn war begleitet von den krassesten gegensätzlichen Gefühlen, die man wohl haben kann. Einerseits hat sich sein Lebenstraum damit erfüllt und es ist etwas wahr geworden, was er nie für möglich gehalten hätte. Andererseits starb wenige Tage vorher bei einem Anschlag auf eine Universität in Kabul sein bester Freund. Kurz vor seinem Tod, auf den er in einem Klassenzimmer verbarrikadiert, wartete, rief er einen gemeinsamen Mentor an, richtete seinen Freunden und Familie seine guten Wünsche aus und an Milad den Wunsch, dass er die Aufnahmeprüfung bestehen möge. Zu diesem Zeitpunkt hatte Milad bereits bestanden und wollte seinen Freund mit der Nachricht überraschen - das kann er nun nicht mehr.

 

... meinem Bekannten von der Carnegie Hall? Ihn habe ich vor ein paar Wochen zum "Lunch" getroffen, wo er mir erzählte, er möge Bacon so gerne, dass er ihn sogar essen würde, wenn man seine Schuhe damit besohlt hätte. Und dann "Sorry, that was disturbing". Ach, gar nicht.

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