1 Das erste Ende

Endlich wieder: Von Bewerbungsunterricht und einer Unterrichtsbewerbung, Gefeier ohne Ende, dem großen New-York-Einkaufs-Trugschluss, einer überraschenden U-Bahn-Bekanntschaft und einer ganz besonderen Weihnachtsüberraschung. Dieser Blog-Eintrag darf gerne in Häppchen eingenommen oder kleinen Dosen konsumiert, eventuell auch auf mehrere Portionen aufgeteilt werden.

 

Es ist höchste Zeit für ein Update, denn den letzten Eintrag schrieb ich noch zu Zeiten, an denen grüne Blätter an den Bäumen hingen und man sich gerne im Park in die Sonne setzte. Damit möchte ich auch gleich beginnen. Eines schönen Novemberwochenendes bin ich endlich mal in den Central Park gegangen. Der Park liegt in der Form eines Rechtecks ziemlich zentral in der Mitte von Manhattan, deshalb heißt er Central Park. Ich habe gelesen, dass jeder Stein, jeder Weg und jeder Baum des Parks genau geplant wurde und sogar einem Wettbewerb für Landschaftsarchitekten entsprang. Inzwischen ist er aber wieder schön wild gewachsen und so groß, dass man ohne Probleme mehrere Stunden spazieren gehen kann. Es gibt dort einen See mit Bötchen, parkähnliche und waldähnliche gebiete, im Winter eine Eisbahn und noch viel mehr, was ich nicht gesehen habe. Je weiter ich kam, desto mehr merkte ich, wie sich mein Großstadt-Stechschritt verlangsamte und ich die verhältnismäßig ruhige Stille, die bunten Farben der Blätter, die Sonne und die gute Luft genossen habe. Kaum war ich draußen, bin ich aber wieder schneller gegangen. Perfekte Naherholung.

Bewerbungsunterricht und Unterrichtsbewerbung

Die Organisation "One to World", die Angebote für International Students hat und mir schon meine Gastfamilie in New Jersey vermittelt hat (ich berichtete - wir haben einen wunderschönen Tag dort verbracht) bietet auch immer wieder Seminare an. Bei einem davon ging es um Bewerbungen und Bewerbungsgespräche in den USA, und ich bin aus Interesse hingegangen. Zunächst haben wir eine erstaunlich lange Liste gebrainstormt mit Beispielen, warum Nicht-Inländer einem Unternehmen wertvolle Qualitäten bieten können, die Einheimische nicht unbedingt mitbringen. Kostprobe: Mehrsprachigkeit, gute Kontakte ins Ausland, Organisationstalent und eine hohe Belastbarkeit (sonst wäre man gar nicht erst im Ausland angekommen), Offenheit, Toleranz, neue Denk- und Lösungsansätze, Anpassungsfähigkeit... Außerdem erfuhr ich, dass es üblich ist, sich selbst zu einer Art Ausfragungsbewerbung einzuladen, bei der man sich ohne echte Bewerbungsabsicht über das Unternehmen informiert (und natürlich trotzdem im Gedächtnis bleibt oder Kontakte bekommt). Falls es so etwas in Deutschland gibt, habe ich noch nie davon gehört. Wir haben geübt, wie man sich selbst in 30 Sekunden wirkungsvoll vorstellt, was man macht, wenn jemand einem zu nah auf die Pelle rückt, und uns gegenseitig wie im Bewerbungsgespräch interviewt. Ich habe mich auch gleich als Freiwillige gemeldet, das vor der ganzen Gruppe mit der Kursleiterin zu demonstrieren, denn am nächsten Tag hatte ich tatsächlich eine echte Bewerbung!

 

Die Bewerbung galt einer "Fellowship-Position", das ist etwas ähnliches wie eine Assistentenstelle, nur dass man keinem Professor, sondern einem Department unterstellt ist. Also ein kleiner Lehrauftrag. Beginn der Lehrtätigkeit soll im nächsten Fall-Term sein. Inhalt: Gruppenunterricht Klavier für erstes Semester Nebenfach, inklusive Benotung. Zufällig habe ich in Würzburg im Rahmen meines Musiklehrerdiploms sowohl eine Lehrprobe im Nebenfach Klavier auf Hochschulniveau als auch für Gruppenunterricht abgelegt, und ein pädagogischer Abschluss scheint mir in den USA auch eher selten zu sein, also fühlte ich mich ganz gut vorbereitet. Um abzukürzen: Ich habe die Stelle bekommen, und mit mir noch drei andere Klavier-Masterstudenten, die ich auch alle schon kenne und gerne mag. In diesem Sommersemester werden wir in einem Vorbereitungskurs in die Inhalte, Vermittlung, Organisation und Pädagogik eingeführt - von mindestens einem der drei anderen weiß ich, dass er noch nie unterrichtet hat. Ich bin gespannt, wie in den USA Pädagogik vermittelt wird und um was es in diesem Vorbereitungskurs geht.

 

Halloween, Thanksgiving, Black Friday, Weihnachten, Silvester

Zum Jahresende, wenn das Wetter normalerweise anfängt ungemütlich zu werden, kommen die Amis in Feierlaune. Das Wetter war nicht besonders furchtbar. Zwar hat es ab und zu geregnet und war auch wenige Tage kalt. Meistens blieb die Temperatur allerdings im zweistelligen Bereich, und hin und wieder konnte sogar ich noch im Dezember ohne Jacke rausgehen. Schon skurril, wenn die Bevölkerung unterm Weihnachtsschmuck vor den Cafés sitzt, im T-Shirt. Ich hab schon gehört, dass es in Deutschland ähnlich war. Aber wie wir inzwischen Wissen, ist doch noch was dran am Spruch "der nächste Winter kommt bestimmt"

 

Über Halloween habe ich schon im letzten Blog-Eintrag berichtet - Es wird in New York ähnlich euphorisch und umfangreich begangen wie Fasching in Köln (bin ich froh, dass es hier kein Karneval gibt!). Für Großereignisse bin ich nicht wirklich geeignet, und nach den Anschlägen in Paris war ich restlos überzeugt davon, dass ich mir auch den nächsten Umzug nicht ansehen wollte, nämlich den an Thanksgiving. Thanksgiving ist nicht das Erntedankfest, wie ich zuerst gedacht habe. Friederike (die Mutter meiner Gastfamilie aus Harlem) erklärte mir, dass vielmehr der Dank der ersten Übersee-Siedler in Amerika gegenüber den Einheimischen, den "Natives" ausgedrückt wird. Ohne deren Hilfe und Nahrung hätten sie wohl den ersten Winter nicht überlebt, oder so ähnlich. Das Fest wird traditionell mit Familie, Freunden und einem großen Truthahn begangen. Am Ende des Festes sind dann nur noch Familie und Freunde übrig. "One to World" hat auch hier wieder die Vermittlung in Gastfamilien angeboten, und da ich sowas spannend finde, habe ich mich wieder angemeldet. Meine Gastfamilie wohnte ganz im Norden der Stadt, noch über Harlem und über der Bronx, wo man mit einem Zug hinfahren kann und echtes, beruhigtes Vorstadtfeeling hat. Die Schlangen an den Ticketschaltern und -Automaten waren so lang und verschlungen, dass man beim Anstehen gar nicht wusste, wo man am Ende genau ankommt. Die Gastgeberin war eine Dirigentin, die am Broadway arbeitet, mit ihrer Tochter. Außerdem war noch ein schwules Pärchen da, ebenfalls beide musikinteressiert und ausübend, ein junger Dirigent, der irgendwelche modernen Ensembles dirigiert und eine andere Studentin aus dEer Vermittlung von "One to World". Juul aus Holland von der Filmschule meiner Uni.

 

Es war spannend, sich musikalisch ein bisschen auszutauschen und neue Leute kennenzulernen. Vor dem Essen unternahmen wir noch einen Spaziergang mit dem Hund, der so altersschwach und arthritisch war, dass er sich nur noch mit der Geschwindigkeit und Dynamik einer Schildkröte fortbewegen konnte. Ein bisschen ins Fettnäpfchen bin ich auch getreten: Als die Broadway-Dirigentin mir erzählte, dass sie ab der kommenden Woche bis in den Januar in San Franzisco (oder einer vergleichbaren, bekannten, großen Stadt) arbeiten wird stellte ich fest, dass sie über Weihnachten ja gar nicht zu Hause sei. Stimmt, sagte sie, aber sie feiere auch gar kein Weihnachten. Da fiel mir wieder ein, dass es in New York viele Juden gibt - was die Stadt nicht davon abhält, sich im Dezember in ein riesiges, kitschiges Glitzermeer zu verwandeln, dazu gleich mehr. Vor dem üppigen Essen spricht jeder offenbar traditionell eine Art Danksagung aus, gegenüber anwesenden oder abwesenden Menschen oder anderen Dingen in seinem Leben. Eine schöne Geste! Das Essen selber war dann auch sehr gut. Weiteren Kontakt habe ich zu den Leuten aber bisher nicht gepflegt, ich hatte das Gefühl, mich nach einem halben Tag ausreichend unterhalten zu haben ohne starkes Bedürfnis nach Wiederholung. Mit manchen Menschen kann man ewig reden, bei anderen erschöpft es sich irgendwann.

 

Am Freitag nach Thanksgiving ist traditionell Shopping bis an den Rande des Nervenzusammenbruchs angesagt. Am "Black Friday" und oft auch dem folgenden Wochenende nämlich bieten alle Geschäfte extrem gute Angebote, Prozente und Reduzierungen an. Wenn man sich ins Getümmel traut, kann man gute Schnäppchen machen. Der Nachteil ist, dass es ungefähr so zugeht, wie wenn Aldi den Thermomix anbieten würde. Auch die Straßen sind verstopft, wie an Weihnachten die würzburger Fußgängerzone. Eigentlich hatte ich darauf keine Lust, aber am Abend bin ich aus Neugier doch noch ein bisschen rumgelaufen, weil ich nämlich einen Rucksack brauchte. Mein geschätzt 15 Jahre alter Aldi-Rucksack war kurz davor, sich zu zersetzen (ich gebe zu, dass ich ihn keineswegs 15 Jahre am Stück benutzt habe). Gekauft habe ich aber keinen Rucksack, sondern einen sehr leichten, kleinen Regenschirm für fünf Dollar. Rucksack gab es keinen, der meinen Ansprüchen gerecht werden konnte.

 

[Exzerpt: Die Rucksack-Story

 

Die Rucksack-Geschichte ist noch etwas länger. Dass ich einen neuen brauchen würde, war mir schon vor meiner Abreise nach New York klar. Aber ich dachte mir, Anne, sei mal ein bisschen schlau und warte, bis du in den USA bist. Da ist es viel billiger und es gibt alles, was das Herz begehrt und noch viel mehr. Mein Rucksack sollte groß und stabil sein, ein Laptopfach, eine Regenhülle und einen Hüftgurt haben sowie eine Möglichkeit, außen etwas festzuschnallen. Mein Aldirucksack hatte das alles. In den USA gibt es keine Rucksäcke mit Hüftgurt. Oder sagen wir - 3% derer, die keine Wanderrucksäcke sind, haben vielleicht einen. Ich will aber nicht am nächsten Tag verspannte Schultern haben, wenn ich mal ein paar Kilo Einkäufe nach Hause trage oder viele Noten mitnehme. Meine Rucksacksuche erstreckte sich über ganz Manhattan und das Internet, sogar ein Fachgeschäft in Chinatown habe ich aufgesucht. Nichts. Ich habe ihn mir schließlich doch in Deutschland gekauft, nach meiner Rückkehr in den Semesterferien.]  

 

Ende des Semesters

Das Semester in der Hochschule endete kurz vor Weihnachten mit Prüfungen. Zuvor habe ich noch bei zwei Konzerten mitgespielt. Zum einen bei einem Kammermusikmarathon, wo zeitgleich in mehreren Räumen über mehrere Stunden Konzerte angeboten wurden. Leider war der Besuch nicht besonders gut, manche hatten gar kein Publikum. Ich habe dann mal vorsichtig gefragt, ob denn genügend Werbung gemacht worden wäre? Worauf mir natürlich versichert wurde, dass man sich darum gekümmert hätte. Ich bin aber nicht so sicher, ob die Werbung in die richtige Richtung abgestrahlt hat, sonst wäre vielleicht mehr Publikum gekommen? Mein schwuler Freund Dan, dem ich aus Deutschland Kinder Schoko-Bons versprochen habe, fand es total witzig und toll, dass ich das gesagt habe. Anscheinend ist es also in Deutschland wie in den USA das gleiche - jeder denkt sich seinen Teil, aber den Mund aufzumachen traut sich keiner.

 

Das dritte Konzert an dem ich mitgewirkt habe, war das ungewöhnlichste und coolste. Auch hier kam leider kaum Publikum, allerdings hatte ein Besucher auf ganz besondere Weise nach Mannes gefunden. Die Geschichte beginnt eines schönen Abends gegen elf Uhr nachts in der U-Bahn-Station nahe  der Hochschule, wo ich nach dem Üben nach Hause fahren möchte. Wieder mal veranlasst mein blauer Kinderhut jemanden dazu, mir ein Kompliment zu machen. Ich bedanke mich artig, aber dabei bleibt es nicht - der Komplimenteur spricht noch ein bisschen weiter und wir unterhalten uns über Hüte. Schließlich finden wir heraus, dass wir aus derselben Branche kommen, denn der Mann ist Komponist. Wir unterhalten uns noch eine Weile in der U-Bahn und ich lade ihn zu meinem nächsten Konzert ein. Tatsächlich kam er auch, mit einer Eselsmütze und der Frage, ob wir uns irgendwann mal treffen könnten. Mal sehen, was daraus noch wird und was der genau von mir will.

 

Besagtes Konzert war ein Improvisations-Konzert von einem der beiden Improvisations-Kurse, die ich belegt hatte. Im Ensemble spielten wir verschiedene, mehr oder weniger verrückte Stücke. Darunter zum Beispiel "One Word", bei dem jeder ein beliebiges Wort mehrere Minuten lang wiederholt - erst extrem langsam, dann gemächlich schneller werdend, dann wieder zurück zum langsamen Tempo. Oder "Memory Space", bei dem jeder zehn Minuten Geräuschkulisse eines verabredeten Ortes (bei uns: Union Square) aufnimmt oder aufschreibt. Bei der Aufführung imitieren dann alle gleichzeitig, was sie hören / lesen auf ihrem Instrument, ohne aufeinander zu achten.

 

Oder "Les Moutons de Pranurge", wo alle gemeinsam eine Melodie spielen, wobei die Reihenfolge der Töne wie folgt abläuft: 1, 1 2, 1 2 3, 1 2 3 4 und so weiter. Geplanterweise bricht irgendwann das Chaos aus, und genau das ist die Absicht des Stückes. Auch eine ganz freie Improvisation mit Gitarre und Klavier (mit mir) war dabei, wobei ich hauptsächlich im geöffneten Flügel gespielt habe. Diese verrückte, freie Form des Spielens macht viel Spaß, weil es eine ganz andere Art der Klangerzeugung und des Musizierens ist. Obwohl man so etwas durchaus proben, üben und verbessern kann (und den Unterschied auch objektiv hört!) gibt es keine wirklichen Fehler, man ist spontaner und alles verläuft überraschend und intuitiv. Besagtem Gitarristen gefiel offenbar wie ich spielte, denn er lud mich in sein Improvisations-Trio ein - Gitarre, Trompete, Klavier. Dass sie für mich ihren dritten Mann, einen anderen Gitarristen, wegen dessen mangelndem Engagement rausgeworfen haben, ist zum Glück nicht mein Problem. Wir werden ab dem nächsten Semester öfter zusammen spielen und ich bin gespannt!

 

Das Improvisations-Konzert war eine Art Abschlussprüfung. Weitere Prüfungen gab es noch in Musiktheorie mit einer echten Klausur und in Dirigieren (mit einer sehr merkwürdigen Klausur zum Thema "transponierende Instrumente", wo wir zum ersten Mal verstanden haben, was der etwas erklärungsschwache Lehrer eigentlich von uns wollte, aber damit langweile ich euch jetzt nicht). Noten habe ich außerdem in Kammermusik und Klavier bekommen, und zwar überall ein A, bis auf Musiktheorie, da wurde es nur ein A-. Ich bin nicht sicher, was die anderen so für Noten haben, aber besonders viel musste ich nicht für ein A tun. Mir kam es aber auch in Würzburg schon so vor, dass die 1,0 mit etwas Aufwand schon nicht ganz unmöglich ist, leichter jedenfalls als 15 Punkte in der gymnasialen Oberstufe, wo man halt zufällig richtig geraten haben musste, was der Geschichtslehrer gerade in der Antwort lesen wollte.

 

Ein weiteres denkwürdiges Konzert gab es noch, an dem ich nicht aktiv mitgewirkt, sondern nur im Publikum gesessen habe. Es begann mit ungeheurem Lärm, der vom darüberliegenden Stockwerk herunterplärrte. Dummerweise waren nämlich die Stockwerke in der Vertikale anscheinend, im Gegensatz zu den Wänden, nicht schalldicht genug. Obendrüber, in einem anderen Konzertsaal, fand gerade eine Art Rockkonzert statt, das man leider nicht unterberchen konnte. Und so hörten wir Lieder von Brahms und andere feine Musik zu ständigem Bass und E-Gitarre. Meine Bewunderung galt den ausübenden Musikern, die nicht anders konnten als sich möglichst nichts anmerken zu lassen...

Als wäre das nicht schon genug, schrillte irgendwann auch noch der Feueralarm. Zunächst reagierte niemand, doch dann meinte die zuständige Organisatorin, sie müsse doch mal kurz gucken, ob das ernst gemeint sei. Leider war es ernst gemeint, und das Konzert vollständig im Eimer. In Eiseskälte mussten wir vor dem Gebäude ausharren (zum Glück hatte ich noch meine Jacke aus dem Spind geholt). Viele nahmen auf dem Weg nach unten natürlich den Aufzug. Tatsächlich hatte irgendetwas vor sich hin geraucht oder geschmort im siebten Stock, Schlimmes ist aber nicht passiert. Das Konzert wurde fortgesetzt - ohne mich. Ob ansonsten noch Publikum (zurück-)kam, weiß ich nicht.

 

First time in Queens und Weihnachten in New York

Kurz vor Weihnachten hat mich Dan zu sich nach Hause auf eine kleine Party im Stadtteil Queens eingeladen, das war sehr schön und kurzweilig. Ich kannte außer ihm niemanden dort, viele Besucher waren College-Freunde von ihm, aber das machte nichts. Sehr gut habe ich mich auch mit seinem Mitbewohner Neal verstanden. Die Party endete damit, dass irgend ein Hund ins Schlafzimmer geschissen hat. Also, ein echter Hund, mit Fell und so.

 

Neal ist ein sehr gut gelaunter und lustiger, ebenfalls schwuler, schwarzer Anwaltsgehilfe, der aber auch musikalisch versiert ist. Etwas später bin ich mit den beiden auf Weihnachtstour durch New York gegangen. Da habe ich erst einmal erfragt, wo denn der Unterschied zwischen "Neal" und "Neil" liegt. Neal erklärte mir dann, dass ihn zwar manche für verrückt erklären, aber es da durchaus einen hörbaren Unterschied gebe: "Neil" sei einfach genau eine Silbe, während Neal eher so anderthalb habe, Ne-al eben. Ich kann es euch gerne vormachen, wenn wir uns mal sehen. Wir spazierten über einen Weihnachtsmarkt am Columbus Circle. Ich hatte vorher schon einen am Union Square gesehen und fand ihn wirklich hübsch, fast wie ein Künstlermarkt mit vielen schönen, nutzlosen Dingen. Natürlich waren hier und da auch deutsche Stände mit Lebkuchen und dergleichen dabei, außerdem konnte man Bratwurstbrötchen für unschlagbare acht Dollar fünfzig erwerben. Weiter ging es dann zum Rockefellercenter, wo jedes Jahr ein riesiger Weihnachtsbaum hinter einer großen Eisbahn steht (schonmal "Kevin allein in New York" gesehen?). Zunächst sahen wir uns die Schaufenster in der Gegend an, die fantastisch geschmückt und installiert waren, eher wie in einem Museum oder einer Kunstausstellung. Ware wird da keine mehr ausgestellt, sondern die Geschäfte versuchen, sich an Extravaganz und Einfallsreichtum zu übertrumpfen. An einer Häuserfront gab es eine große, funkelnde Lightshow. Der Weihnachtsbaum mit der Eisbahn war dann auch ganz nett, aber natürlich total überlaufen. Und 35 Dollar bezahle ich dann auch nicht fürs Eislaufen.

 

Davon abgesehen ist New York ungefähr so geschmückt wie auch deutsche Städte, die sich ein bisschen Mühe geben. Glitzernde Bäume, Lichterketten und so weiter, und viele Geschäfte machen mit. Blinkende, total überladene Vorgärten habe ich nicht gesehen, aber dafür hätte ich vermutlich auch etwas aus dem Zentrum rausfahren und an Orten suchen müssen, wo es Vorgärten gibt, wozu ich keine Zeit hatte.

 

Kurz vor meiner Abreise bin ich mit einer Studienkollegin, einer Chinesin, die in Deutschland in der Klasse meiner Freundin Eva in Köln studiert hat und jetzt auch bei Jerome Rose gelandet ist, ein bisschen Shoppen gegangen. ich dachte, die Kleidung ist doch angeblich so günstig in New York. Leider finde ich weder, dass sie günstig, noch besonders qualitätvoll oder schön ist und habe nichts gekauft. Bei einem Wechselkurs von fast 1:1 gilt der Sparbonus wohl nicht mehr, beziehungsweise die guten Angebote bekommt man anscheinend nur bei richtig teuren Marken, die ich sowieso nicht kaufe. Meine Kleidungslücken habe ich dann in einem einzigen Geschäft, beim Pecht in Bad Neustadt geschlossen, da muss ich wenigstens nicht mehrere Kilometer weit suchen und habe alles, was ich brauche.

 

Semesterferien in Deutschland

Am 23. Dezember habe ich dann bei ca. 20° heimlich die Stadt verlassen und meine Eltern mit meinem Besuch überrascht. Angekündigt hatte ich mich nämlich für Anfang Januar. Ich hatte ursprünglich vor, Silvester und Weihnachten in New York zu verbringen. Allerdings kam die Uni, nachdem sie in der Woche vor Weihnachten plötzlich 24 Stunden offen hatte, auf die bescheuerte Idee, über die Feiertage zuzumachen. Da ich schon am 4. Januar in Deutschland eine Probe für eine Kammermusikaufnahme hatte und demnach üben musste, und da ich Silvester in New York nach Paris doch keine so gute Idee fand, und da ich doch gerne an Weihnachten zu Hause sein wollte, habe ich meine Pläne geändert. Nicht nötig, das gleich an die große Glocke zu hängen. Meine Eltern haben das noch früh genug gemerkt, als ich an der Tür geklingelt habe... :-)

 

In Deutschland habe ich ein paar Auftritte gespielt und Ende Januar mit einem Quintett ein Stück für eine CD aufgenommen. Außerdem war ich ziemlich oft Kaffee trinken und habe viele alte und ganz alte Freunde und Familienmitglieder getroffen (Rekord hält meine Oma mit 90 Jahren, und in die andere Richtung mein Patenkind mit anderthalb). Gewohnt habe ich mal hier und mal da. In Würzburg konnte ich für einige Tage in meine eigene, untervermietete Wohnung ziehen, weil mein Untermieter gerade in seiner Heimat Ägypten war. Vor wenigen Tagen hat er mich dann in meine / seine Wohnung eingeladen und wir haben uns interessant unterhalten. Ich habe ägyptische Süßigkeiten probiert, meinen Namen auf Arabisch geschrieben, gelernt was "Willkommen in Deutschland" heißt und erfahren, dass es im Arabischen Singular, Plural für zwei und Plural für mehr als zwei gibt. Kurios, nicht wahr?

 

Die Zeit in Deutschland habe ich sehr genossen, auch wenn nur wenig Zeit zum Entspannen und Ausruhen war. Es war trotzdem so schön ruhig, die Wege waren kurz, die Gesichter bekannt, das Essen günstig und lecker und das Üben etwas unkomplizierter. Aber nun freue ich mich auch auf das nächste Semester und bin sehr gespannt, was es alles bringen wird! Mein nächster Rückflug wird aller Voraussicht nach am zweiten August sein. Falls bis dahin mal jemand in New York vorbeikommt, sagt Bescheid!

 

Herzlichen Glückwunsch an alle, die bis hier unten durchgehalten haben. Wer immer noch nicht genug hat, kann demnächst mal in die Mainpost gucken, die hat mich  nämlich interviewt. Außerdem schreibe ich Artikel über mein Studium in der deutschsprachigen Klavierzeitschrift "PianoNews", die alle zwei Monate erscheint. Der erste ist bereits im Januarheft erschienen, den nächsten habe ich schon abgeschickt für das nächste Heft.

 

 

Herzliche Grüße aus 10.000 Metern Höhe!

 

[Edit: Nun bin ich schon eine Woche in New York und komme jetzt erst dazu, den Eintrag online zu stellen. Beim nächsten Mal gibt es dann neue spannende Dinge zu erzählen. Heute zum Beispiel war ich in einer riesigen Wohnung in der teuersten Wohngegend New Yorks. Wie es dazu kam, lest ihr beim nächsten Mal...]

 

Die Amerikaner und ihre Schildchen:

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Claudia B. (Montag, 08 Februar 2016 15:10)

    Wunderbar, liebe Anne! Wieder ein großer Spaß, das alles zu lesen! Dankeschön!
    Weiterhin alles Gute, viel Freude und Erfolg!