8 Like...Sorry!

Heute: Warum "Like" fast so gut ist wie "Fuck", von einem ganz besonderen Hauskonzert, meiner NYC-Musiker-Feuertaufe, einem horriblen Kammermusikunterricht, dem Überraschungsei New Jersey, Schießereien, und dem gestörten Verhältnis der Amerikaner zu Fenstern und Sicherheitsvorkehrungen


Die beiden meistgebrauchten Wörter der Amerikaner sind "like" und "sorry", wobei beide im Prinzip keinen wirklich aussagekräftigen Inhalt haben. In jeder Sprache gibt es zeitfüllende oder unterstreichende, jedenfalls schwer zu Übersetzende Wörter. Tja, so ist das halt, gell? Das bekannteste englische Wort, welches man auch gleich in der fünften Klasse lernt, ist "Well," am Anfang eines Satzes. "Like" ist aber viel universeller, es kann nämlich an jede beliebige Position beliebig oft eingefügt werden. Dann kommt am Ende sowas heraus: "[Like], I [like] practice [like] all the time, [like] six hours a day, [like] a lot, it's [like] so exhausting." Fast kommt es einem vor, als sei "like" die nette Form von "fuck", das ja bekanntermaßen das vielseitigste Wort der englischen Sprache ist, wie dieses Video eindrücklich demonstriert.


"Sorry" ist ebenfalls sehr flexibel und kann alles Mögliche heißen. Zum Beispiel: "Huch, hab ich mich erschrocken, dass Sie hinter der Tür standen." oder "Beweg deinen breiten Hintern weg, damit ich aus der Bahn aussteigen kann." oder "Das ist jetzt mein Überaum, also verschwinde möglichst schnell" oder "Dein Satz hat in meinem amerikanischen Gehirn leider keinen Sinn ergeben." oder "Steh doch nicht so seltendämlich da im Weg herum."

"Entschuldigung" heißt es eher selten. Dann sagt man nämlich "I appologize", "forgive me" oder wenigstens einen vollständigen Satz: "I am very sorry". Damit muss man allerdings aufpassen. Es kann nämlich auch die freundliche Form sein von "Like... Fuck you."

In diesem Sinne: Sorry, dass die Blog-Einträge seltener sind als ich beabsichtigt hatte. Ich würde gerne öfter schreiben, aber mir fehlt tatsächlich und wahrhaftig die Zeit. An vielen Tagen verbringe ich nur eine einstellige Zahl an Stunden in der Wohnung, wovon der überwiegende Teil dann fürs Schlafen verbraucht wird. Inzwischen gibt es aber wieder einiges zu Berichten!


Ein ganz besonderes Hauskonzert, zwei besuchte Konzerte und mein erster Auftritt

Vor einiger Zeit hat meine Freundin Juliann mich zu einer Mischung aus Studentenparty und Hauskonzert mitgenommen. Es fand statt in einer großen, schönen Wohnung in East Harlem, eine Studenten-WG, die voller Musikstudenten und Absolventen waren, die meisten von der Juilliard School. Zwischen Bananenpudding und Gequatsche gab es sehr beeindruckende Live-Darbietungen aller denkbaren Genres und Instrumente. Ein Chopin-Nocturne, selbst komponierte Klavieretüden und elektronische Kompositionen, die mit Frequenzüberlagerungen arbeiten, eine Chanson-Sängerin, Violin-Duo mit selbst transkribierten Werken, Jazz-Impro, atonale Impro im Ensemble und solistisch, eine Komödiantin und vieles mehr. Alle Musiker waren absolut Spitzenklasse und es war immer eine abwechslungsreiche Freude, zuzuhören.

Auch normale Konzerte habe ich besucht. Für Studenten gibt es ein Abo mit 18 Konzerten für 25 Dollar, die zwar nicht in der Carnegie Hall stattfinden, aber dennoch Musiker präsentieren, die dort spielen oder spielen könnten. Im ersten Konzert habe ich den weltbekannten Pianisten Marc-André Hamelin gehört. Er spielte unter anderem eine Mozart-Sonate (das einzige Stück, bei dem ich Fehler gehört habe - Mozart ist einfach... fucking hard!) und eine geniale Eigenkomposition über das bekannte Paganini-Thema (mehr verrate ich nicht, sonst ist die Überraschung weg).

Außerdem war ich bei einem Konzert des Dover String Quartet, das unter anderem mit einem Gast-Cellisten das Streichquintett von Schubert spielte. Er komponierte es im Jahr seines Todes und das Stück ist einfach unglaublich, und die Musiker waren unglaublich gut. Passenderweise fand das Konzert am 31.10. statt, neudeutsch Halloween.

Halloweenwird in den USA ähnlich vorbereitet wie Weihnachten. Schon Wochen vorher beginnt alles eine orange Färbung anzunehmen, Kürbisse tauchen überall auf, und wer einen noch so kleinen Vorgarten hat, stellt dort Grabsteine, Skelette und Riesenspinnen hinein und tapeziert dazu mit künstlichen Spinnweben. Wer keinen Vorgarten hat, hat vielleicht ein Schaufenster, mit dem man natürlich dasselbe machen kann. Am 31.10. sollte es einen riesigen Umzug geben. Da ich aber weder ein Fan von Karneval noch einer von unkontrollierten Menschenmassen bin, lief ich also abends gegen den Strom von Menschen, die von Union Square zum Umzug wollten, zu meinem Streichquartett-Konzert. Gesehen habe ich trotzdem genug, zum Beispiel einen Mann mit Messer im Kopf und eine Frau im Dirndl. Schon lustig, wenn einem in der U-Bahn Kinder im Skelett-Kostüm begegnen, die ihren Vater erwürgen, oder Männer ohne Gesicht. Bei manchen war ich mir gar nicht so sicher, ob sie nun verkleidet waren oder nicht.  

Am Mittwoch, 4.11. hatte ich selbst meinen ersten Auftritt in der Uni. Die "Generalprobe" fand nicht im Konzertsaal statt, denn der war leider noch "under construction", und außerdem waren sowieso die Hälfte der Performer gerade krank. Zum Konzert war zum Glück alles wiederhergestellt und fertig. Besonders riesig ist er nicht, aber in New York ist man als eine von vielen Musikhochschulen auch nicht der Haupt-Publikumsmagnet wie in Würzburg, wo es außer dem Theater kein anderes regelmäßig veranstaltendes Haus gibt, so dass die Größe für das Publikum ausgereicht hat. Das Konzert hat über zwei Stunden gedauert, und damit das Publikum nicht wegrennt, hatte es keine Pause. Das Programm war wohl interessant: Sechs Chopin-Mazurken, die dann zu Liedern Bearbeiteten wurden (Sopran oder Sopran-Duo) und sogar von Chopin selbst aufgeführt wurden. Davon wusste ich gar nichts - mein Lehrer Jerome Rose hat sie irgendwo in einer Bibliothek ausgegraben und in den Spielpausen auch zu allen Stücken etwas erzählt. Danach war ich dran. Ich begleitete zunächst drei Lieder: Schubert "Auf dem Wasser zu Singen" und "Der Müller und der Bach" mit einem Tenor, der ein bisschen eingeschüchtert war, weil ich jedes Wort verstehen konnte / können sollte (hat er auch prima hinbekommen!) und dann Chopin "The maidn's wish" auf Polnisch. Respekt an beide Sänger, die auswendig gesungen haben. Allerdings wird schnell klar, warum die Lieder Chopins unbekannt geblieben sind. Anschließend spielte ich dann drei Transkriptionen von Liszt zu diesen Stücken. Ich war natürlich recht aufgeregt und die Stücke waren alle drei "awkward" und unbequem, besonders "Auf dem Wasser zu singen". Mein Lehrer findet, dass Stück sei "a bitch" und "damn hard" zu spielen, und ich sei ja selber schuld, dass ich mir das ausgesucht hätte. Ein bisschen hat er wohl übertrieben, aber nach dem Konzert war er zufriedener als ich selbst mit dem Auftritt, was mich natürlich sehr freut!  Beendet wurde das Konzert mit den drei "Sonnetti del Petrarca" von Liszt und den dazugehörigen Liedern, denen ich leider nur mäßig viel abgewinnen kann (obwohl toll musiziert wurde).

 

Meine Feuertaufe habe ich also gut überlebt! Die nächsten Auftritte sind am 22. November mit Kammermusik (Schubert "Der Hirt auf dem Felsen") und am 10. Dezember mit einem Ensemble-Improvisationskonzert. Das verspricht sehr spannend zu werden, davon werde ich mal gesondert berichten. Vielleicht kommen wieder meine Freunde aus New Jersy. Kendall, die mich spielen hörte sagte, das Liszt-Konzert wäre eines der besten Konzerte gewesen, das sie je besucht hat, und sie fand sogar die ausschweifenden Erzählungen meines Lehrers interessant.

New Jersey

Kendall und Luke aus New Jersy lernte ich am 10. Oktober kennen. Die Organisation "One to World" bietet für International Students immer wieder interessante Veranstaltungen an, dieses Mal war es ein Treffen zwischen New Yorkern und Studenten. Die New Yorker sollten einen halben Tag mit den Studenten verbringen und ihnen etwas Typisches und Schönes zeigen. Ein Museum oder andere Orte, mit ihnen Kochen, auf einen Markt gehen, Spaziergang durch Brooklyn... Ich war zusammen mit einer anderen Deutschen (Zufall) und einem sehr schüchternen Japaner in der Gruppe und mit Kendall und Luke unterwegs. Sie stammen eigentlich von irgendwo anders aus den USA, wohnten dann eine Weile in New York und zogen schließlich nach New Jersey.

New York und New Jersey sind ein bisschen wie Köln und Düsseldorf oder Nürnberg und Fürth, und von allein wäre ich dort wohl nicht so schnell hingefahren - außer zum  dritten "New Yorker" Flughafen Newark, wo ich schon einmal war. Der Ausflug war aber wunderschön und die Gegend dort ist zauberhaft. Außerdem hatten wir wirklich Glück, denn dieser 10. Oktober war sommerlich warm und die Sonne hat vom blauen Himmel geschienen. Mit dem Path Train, einer U-Bahn, kommt man super schnell von Manhattan nach New Jersey, dafür muss man nämlich nur den Hudson River an der Westseite Manhattans überqueren.

 

Das Lebensgefühl in Jersey City, Newport und Hoboken ist anders als in New York, das spürt man sofort. Die Straßen sind weniger voll, die Menschen gehen langsamer, es fahren weniger Autos, es ist weniger laut und weniger stressig, und man gibt sich dazu alle Mühe, es hübsch aussehen zu lassen. Wirklich günstig kann man dort zwar auch nicht wohnen, aber die Preise sind trotzdem billiger als in Manhattan. Es gibt sogar eine echte Fußgängerzone, einen kleinen Hafen, Parks - und eine atemberaubende Aussicht auf die Skyline von New York! Wir sind eine Minute mit der Fähre über einen kleinen Seitenarm des Hudson bzw. des Meeres gefahren, haben die Freiheitsstatue von hinten gesehen und festgestellt, dass eine Brücke zur Insel führt - die nicht auf Google Maps eingezeichnet ist, wie ich soeben festgestellt habe. Wenn man schlau ist, spart man sich also die 20$ Fährgebühr und läuft hin. Außerdem waren wir in einer sehr leckeren Pizzeria, in der wir unter anderem eine Nutellapizza gegessen haben! Und auch in New Jersey gibt es ein Denkmal für die Zwillingstürme, die am 11. September eingestürzt sind. Zwei lange Wände, in die die Namen der Opfer eingraviert sind, bilden einen Gang mit Blick auf die Stelle, an der die Türme früher zu sehen waren. Wer mal nach New York kommt und Zeit hat, dem lege ich einen Besuch dort drüben ans Herz! Mehr dazu in Bildern:

Die widersprüchliche Paranoia der Amerikaner

Ich weiß nicht, ob es hier schon immer so war oder erst seit den Anschlägen, aber die Amerikaner sehen immer und überall lebensbedrohliche Gefahren lauern. Besonders berühmt sind die Vorkehrungen zum Feuerschutz, erkennbar durch die Millionen metallenen Feuerschutztreppen außen an Gebäuden, die hier offenbar auch für private Wohnhäuser vorgeschrieben sind, und die das Stadtbild prägen. Innen geht es weiter: Die Räume sind mit blitzenden Warnlichtern ausgestattet, die im Notfall flackern, und auf jedem Stockwerk gibt es angeschlossene, aufgerollte Feuerwehrschläuche und natürlich Feuerlöscher.

Als New School Student kann man Notfallkontakte angeben, die angerufen werden, falls einem etwas zustößt. Außerdem gibt es ein "Alert-System", über das man geräuschstarke Nachrichten auf das Handy erhält, falls in New York Ausnahmezustand herrscht oder man sich vor etwas in Acht nehmen sollte. Und selbstverständlich werden hier auch die Eingänge aller Gebäude derer, die etwas auf sich halten (und die es bezahlen können) mehrfach gesichert. Durch Drehkreuze, die man nur mit Mitgliederkarten passieren kann, durch Security und Doormen, die Türen "unlocken" müssen. Schulen haben Sicherheitsschleusen wie am Flughafen, und die Treppenhäuser  sind danach gekennzeichnet, ob man nach oben oder nach unten laufen soll.  In fast jedem Restaurant, Kiosk, Mensa oder sonstiger Essensausgabe hängen sichtbare Allergikerhinweise, die vor lebensgefährlichen Erdnüssen warnen, und eine Anleitung zum Heimlich-Handgriff, falls jemand vielleicht nicht gegen die Erdnuss allergisch ist, sie dafür aber in den falschen Hals bekommen hat (zu wissen wie dieser Handgriff funktioniert ist dennoch sinnvoll zu wissen, man kann damit jemanden vor dem Ersticken retten). Wirklich lächerlich finde ich aber, dass in größeren öffentlichen Räumen wie Restaurants oder Konzertsälen große Plaketten hängen, auf denen die Höchstanzahl von Menschen festgehalten ist, die sich in diesem Raum aufhalten dürfen. Mehr Menschen einzulassen ist "illegal". Da sag mir bitte mal einer, wie man das feststellen und vor allem rechtlich verfolgen möchte?!

 

Diese Sicherheitsmaßnahmen freilich sind nicht einheitlich hoch in allen Lebensbereichen. Es gibt extrem schmale U-Bahn-"Stege" mit Gleisen zu beiden Seiten, viele der Bahnsteige sind leicht abschüssig, so dass Kinderwägen ungesichert ins Gleisbett rollen können (das passiert auch immer wieder!). Bei Rot über die Ampel gehen ist ganz normal, auch wenn Autos kommen, denn Ampeln werden hier eher als eine Art Empfehlung angesehen. Gehörschutz beim Bedienen von Presslufthämmern ist hier auch noch nicht angekommen, und mit dem Fahrrad fährt man am besten nachts ohne Licht und Helm gegen die Fahrtrichtung, wenn die Ampel rot ist.

Selbst innerhalb der Stadt gibt es, was die Vorsicht und den Argwohn angeht, große Unterschiede. In der Bibliothek, die ich meistens benutze, gibt es einen "Self-Checkout" und es wäre sehr leicht, Bücher zu klauen. In der NYU, New York University, gibt es Sicherheitsschleusen, in denen bereits entliehene Bücher nochmal gezeigt werden müssen, bevor man ohne Alarm auszulösen hinausgehen kann. Solche Kuriositäten und Widersprüchlichkeiten gibt es sicher in jedem Land, aber sie fallen einem nur dann auf, wenn man nicht damit großgeworden ist.


Mein traumatisches Studium

Zu Beginn des Studiums hatte ich noch ein recht traumatisches Erlebnis, das ich zum Glück inzwischen gut verarbeitet habe. Es handelt sich dabei um meinen ersten Kammermusikunterricht. Schon vor Monaten konnte man Stücke oder andere Studenten in einem Online-Formular benennen, die bei der auf höherer Instanz vorgenommenen Einteilung in Kammermusikgruppen berücksichtigt werden sollten. Natürlich kannte ich noch keine Studenten, wünschte mir aber das wunderbare Quintett "Der Wind" von Franz Schreker für Violine, Cello, Klarinette, Horn und Klavier, weil ich das im Januar 2016 in Würzburg für eine CD aufnehmen werde. Aus irgendwelchen Gründen konnte das nicht berücksichtigt werden ("die Holzbläser wollen lieber mit Holzbläsern spielen") obwohl gerade solche Kammermusik doch interessant ist. Ich wurde dann erst in ein Streichquintett gesteckt und entschied mich dann schwerwiegender Weise um für ein Holzbläserquintett, in der Hoffnung auf eines der Quintette von Mozart oder Beethoven, die ich schon einmal gespielt habe. Denn, ich gebe es zu, am liebsten wäre mir gar keine Kammermusik gewesen, weil ich dieses Semester auch ohne schon genug zu tun und zu üben habe. Leider stellte sich heraus, dass es sich zwar um ein Holzbläserquintett handelte, aber eines mit Flöte und ohne Horn. Also nichts mit Beethoven und Mozart. Drei Tage vor dem ersten Unterricht erfuhr ich dann das Stück: Das Quintett von André Caplet. Üben konnte ich es leider nicht, weil ich erst am Tag des Unterrichts die Noten ausleihen hätte können - leider waren sie aber bereits entliehen.

 

So ging ich also völlig blank zum Unterricht und fragte mich, wozu wir überhaupt drei Tage nach Nennung des Stückes schon Unterricht bekommen sollten. Normalerweise übt man doch für sich allein, probt dann ein paarmal und geht erst dann zum Unterricht. Wie sich herausstellte, war es schlimmer als angenommen. Nicht nur, dass ich mehr schlecht als recht versuchte, etwas vom Blatt zu zaubern - die anderen vier waren auch noch alle unerfahrene Bachelor-Studenten, teilweise Studienanfänger, die teilweise nicht geradeaus spielen konnten. Wir waren also mit Intonation und Rhythmus der ersten zwei Seiten beschäftigt, und die zum Glück sehr freundliche Lehrerin bemühte sich nach Kräften, die Situation irgendwie erträglich zu gestalten, und entschuldigte sich für unsere Unfähigkeit.

Mir war sofort klar dass ich unter diesen Umständen keine Lust hatte, Probenzeit, geschweige denn Übezeit in dieses lange und anspruchsvolle Werk zu stecken, und beschloss während des Unterrichts, dass ich nach sechs Jahren Studium und in einem Alter, das der 30 näher ist als der 20, selbstbewusst genug sein konnte, das auch zu äußern. Also krallte ich mir nach dem Unterricht die Lehrerin und sagte ihr den schönen Satz "I feel that I am not in the right place." Erfreulicherweise sah sie das ganz genauso - sie hatte den anderen sogar im Unterricht schon gesagt, dass sie mal das Quartett von Francais üben könnten, "bis ich mit dem Üben soweit wäre". Jetzt musste also schnell ein neues Ensemble für mich gefunden werden, denn der Unterricht hatte ja schon begonnen und es gab Fristen einzuhalten und so weiter.

 

Das Ende vom Leid: Jetzt spiele ich zum zweiten Mal "Der Hirt auf dem Felsen" mit Klarinette und Sopran, was nicht anspruchslos zu begleiten, aber anspruchslos zu üben ist. Ich hätte mir zwar auch da etwas fortgeschrittenere Studenten gewünscht, aber hier kann ich mit einem musikalisch befriedigendem Ergebnis rechnen, und außerdem sind beide total nett. Beim nächsten Mal werde ich darum bitten, dass ich nur mit Masterstudenten spiele, oder sie mir gleich selbst suchen.

 

Es ist im Übrigen ungewohnt, dass ich als Deutsch-Muttersprachlerin nun in gewissem Sinne besonders oder nützlich bin, und mir Fragen zu Aussprache, Inhalt, Bedeutung und sogar zur Interpretation gestellt werden. Mir ist das früher nie besonders aufgefallen, aber neben Italienisch und Französisch ist Deutsch die wichtigste Sprache der Musik, und besonders der Inhalt der ganzen Lieder, mit nicht mehr gebräuchlichen oder poetischen Formulierungen, erschließt sich in Übersetzungen nur Bruchstückhaft. Und ich merke einmal mehr, wie froh ich bin, dass ich Deutsch nicht als Fremdsprache lernen muss - Grammatik und Aussprache (!) sind wirklich kompliziert!


Schießerei

An meiner Uni wird ja alles Mögliche an Extra-Aktivität Angeboten. Ich hatte mich vor ein paar Tagen zu einem Selbstverteidigungskurs angemeldet, weil der letzte knapp 20 Jahre zurückliegt und ich nicht ganz hilflos sein möchte, falls mich jemand überfällt. Aufgrund meiner ausgedehnten Übezeiten bin ich oft spät Abends in Harlem unterwegs, und der etwa zehnminütige Weg von der U-Bahn zur Wohnung ist schon etwas unheimlich. In St. Petersburg war es aber bestimmt nicht sicherer, und man darf einfach nicht schlurfend und blind herumlaufen, sondern muss wachsam sein, beobachten, was um einen herum passiert, und eine selbstbewusste Haltung annehmen. Ich hab auch eine "Vergewaltigungspfeife" (Zitat: David) an meinem Rucksack installiert und eine Fake-Kreditkarte ausgabebereit und hoffe einfach, dass ich nicht gleich erstochen werde, falls die Statistik mich als Opfer auswählt.

 

Im Kurs habe ich gelernt, wie ich jemandem ordentlich eine reinhauen kann. Wenn ich treffe und der Schlag sitzt bin ich überzeugt, dass ich damit eine Verletzung herstellen kann, die den Angreifer noch mehrere Tage beschäftigen wird, wobei zwei Minuten für meine Zwecke ja schon ausreichen. Man kann Handballen, Ellebogen und Knie sehr effektvoll einsetzen, um die empfindlichsten Körperstellen eines Mannes zu treffen. Auch ein Schlüssel kann zur Waffe werden, wenn man ihn richtig in der Hand hält. So, ich hoffe, ganz New York hat das jetzt gelesen und lässt mich in Ruhe.

Ironischerweise informierte mich Friederike, meine Gastfamilien-Mutter, nach dem Selbstverteidigungskurs, dass es bei uns um die Ecke eine Schießerei gegeben hat, aus deren Schusslinie sie und Eliana sich gerade gerettet hatten. Alles sei voller Polizei und die Verrückten irrten nun irgendwo in der Gegend herum. Es war Abend und ich traute mich nicht nach Hause, wer weiß schon, was denen so einfällt, wenn sie eine weiße, unbegleitete Young Lady durch die Straße spazieren sehen? Spontan habe ich dann bei einer Freundin hinter dem Lincoln Center (66. Straße) übernachtet. Sie hatte kurioserweise am selben Tag auch eine Schießerei vor dem Haus gehabt, und der Spielplatz daneben lag zum ersten Mal seit ihrem Einzug ruhig da, so dass wir eine angenehm geräuschfreie Nacht hatten. Angeblich hat der aktuelle Bürgermeister die Lage nicht so gut im Griff. Aber von welchen Politikern kann man das heutzutage schon noch behaupten.

So, das war nun genug des Updates, herzlichen Glückwunsch an alle, die es bis hierher geschafft haben. Das Metro-Spezial werde ich mit etwas zeitlichem Abstand folgen lassen, es soll ja niemand überfordert werden. Falls jemand immer noch nicht genug hat, kann er mal ins Würzburger Stadtmagazin "Liebe Nachbarn" gucken. Da ist ein zweiseitiges Interview mit mir drin!

 

Beste Grüße!


Eure Anne


Amerikanische Besonderheiten

Wie allgemein bekannt ist, gibt es im Englischen ja keine grammatische Möglichkeit mehr, jemanden zu siezen. Ungewohnt ist aber auch die Ansprache mit Namen: Es ist allgemein üblich, sich gegenseitig mit Vornamen anzureden, auch zwischen Professoren bzw. Lehrern und Studenten. Und nicht nur persönlich, sondern auch in E-Mails, wenn man gar nicht weiß, wem man gerade schreibt. Komplizierterweise ist das aber nicht durchgehend der Fall, sondern manche möchten beim Nachnamen bleiben. Vor den kommt häufig dann auch der Professorentitel, dann wird die verkürzte Ansprache einfach zu "Professor". Das führt dazu, dass ich nun gar nicht mehr weiß, wie ich mir überstellte Personen eigentlich korrekt anspreche, und im Schriftverkehr mache ich es davon abhängig, wie meine intuitive Einschätzung ist und ob ich von den Leuten Abhängig bin oder etwas von ihnen möchte, oder eher nicht.  Zu meinem Lehrer sag ich "Mr. Rose", weil mir das Professor wirklich lächerlich vorkommt. Beschwert hat er sich noch nicht.

                                       

Die Amis haben nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Treppen und Aufzügen, sondern auch zu Fenstern. Wenn man welche hat, macht man am besten ein Fliegengitter, ein Eisengitter, eine Jalousie und einen Vorhang davor. Es bietet sich auch an, erst eine dämlich eingestellte Jalousie zu installieren und dann ein zweites, nicht zu öffnendes Fenster davor zubauen, damit die Sonne immer schön blendet. Generell sollte man die Räume mit Fenstern am besten so einrichten, dass man sie selten benutzt, zum Beispiel als Abstellraum, Toilette oder abgedunkelten Konzertsaal. Und auch sonst ist es einfach genial, erst die Vorhänge zuzuziehen und dann das Licht einzuschalten. Alternativ kann man die Fenster natürlich auch gleich weglassen, denn für die Belüftung sorgt ja schon die Klimaanlage. 

Moments of New York

Ich war mit einer Freundin in einem kleinen Imbisslokal zum Essen. Da kam ein Mann herein und bat uns, ihm etwas zu Essen zu kaufen. Wir haben uns etwas ratlos angesehen. Sehr verhungert sah er nicht aus, aber genau das war ja auch das Ziel seiner Bitte an uns. Hier kann man leider nicht mal eben jemandem ein Sandwich für 2,50 € kaufen. Wir haben ihm dann einen Teller mit Pommes mitgegeben, den er dankend annahm und wieder verschwand.

 

Zum Einkaufen werde ich mal noch gesondert etwas schreiben. Nur so viel: Ich habe hier schon Leute ihren Motorroller mit in den Supermarkt nehmen sehen. Warum auch nicht, manche machen das sogar mit ihrem Wohnwagen (man braucht nur "Kleinster Wohnwagen der Welt" bei Google einzugeben und weiß, warum).

 

Natürlich wurde ich auch hier einmal ausgeschlossen. Das passiert einem anscheinend immer, wenn man irgendwo neu ist. Ich war schön Üben im Jazz-Floor der Hochschule, verschwand kurz aus meinem Überaum, kam zurück - und die Tür war zu. Mit allen meinen Sachen drin. Es handelt sich bei den Schlössern um welche, die nur von außen funktionieren, während man den Raum aber weiterhin verlassen kann. Und da bald Sperrstunde war, hatte schonmal jemand abgeschlossen, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich bin also zur Security getappt und habe meinen Schlamassel erklärt, und zum Glück bin ich wieder rasch an mein Eigentum gekommen.

 

Die Studenten hier sind entweder besonders vertrauensseelig oder besonders schusselig. In den zwei Monaten die ich hier studiere habe ich schon drei wertvolle Dinge gefunden: Einen Geldbeutel, eine Videokamera und einen Schlüsselbund. Ich warte noch auf ein Handy...

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Franzi (Sonntag, 08 November 2015 13:30)

    Liebe Anne,
    danke für den schönen Eintrag! Das mit den Motorrollern im Supermarkt ist ja der Abschuss... Ein paar Fake-Kreditkarten kann ich dir auch noch geben, und das mit den Feuertreppen (wurde mir auf einer meiner "walking tours" erzählt) kommt daher, dass es irgendwann mal einen riesigen Brand in New York gab und danach hieß es, jede Wohnung muss über einen zweiten Zugang/Ausgang verfügen. Da die meisten Wohnungen sowas aber nicht so einfach einrichten konnten - gibt es jetzt die Feuerleitern.
    Mei, würd ich dich gern besuchen... Irgendwann wenn's warm ist?
    LG
    Franzi

  • #2

    Wolfgang (Montag, 09 November 2015 10:28)

    Liebe Anne,
    ich habe es mal wieder genossen, Deinen Blogeintrag zu lesen: die kleinen Episoden aus der großen Stadt. Soviel Unterhaltungswert hätte mir heute morgen keine Tageszeitung beschert (Montag: Sport)! Hoffentlich findest Du auch weiterhin viel Zeit, mit offenen Augen durch die Neue Welt zu laufen und uns daran teilhaben zu lassen. (Deinen New Yorker Xmas-Berichten sehe ich schon mit leichtem Gruseln entgegen.) Und für Deine Kammermusik-Sessions wünsche ich Dir viel Erfolg und vor allem kompetente Partner.
    Liebe Grüße
    Wolfgang