4 You're still in Wurstburg now?

Das fragte mich ein Bekannter aus St. Petersburg vor einigen Monaten (liebe Grüße an Jorge, Nora!). Nein, die Wurst hat nun zum zweiten Mal ein Ende. Nachdem ich 2012 nach Russland gegangen bin, zog es mich dieses Mal in die USA. Von Wurst nach Apfel sozusagen. Bleibt abzuwarten, ob das tatsächliche Nahrungsangebot eine ähnlich gesundheitsfördernde Wirkung haben wird. Immerhin hab ich seit meiner Anwesenheit noch keine Schokolade gegessen, was nahezu unglaublich ist (wird sich aber bald ändern, muss nur noch welche kaufen).

 

Die Wahrheit ist:

Seit dem 1. August wohne ich in New York City. Im September 2014 traf ich den gefragten Klavierprofessor Jerome Rose von der Mannes School und er lud mich in seine Klasse ein. Im März 2015 habe ich in NY die Aufnahmeprüfung bestanden, im April schnell meine Diplomarbeit geschrieben, im Mai noch einen kleinen Wettbewerb gewonnen, im Juni meine Abschlussprüfung gespielt und mich im Juli mit dem Tschaikowsky-Klavierkonzert aus Würzburg und Bad Neustadt verabschiedet. Hier in New York habe ich ein großes, helles, stilvolles Zimmer für mich allein, für das ich nur die Nebenkosten bezahlen muss. Klingt schon ziemlich gut, wenn man das so liest. Ist es auch!

 

Die Wahrheit ist aber auch:

Seitdem die USA-Idee geboren war (also etwa seit Mai 2014) ist die gesamte Zeit, die ich neben dem Studium erübrigen konnte, für die Planung, Realisierung und Vorbereitung draufgegangen. Mein ganzer Urlaub seitdem bestand aus zwei Tagen Nordsee (war wirklich schön, Caro!), und selbst nach Abgabe meiner Diplomarbeit oder nach meiner Abschlussprüfung hatte ich keine Zeit zum Ausruhen oder Feiern. Meine Freunde haben mich nur selten gesehen (sorry besonders Nina, Nina und Samira) und Ausschlafen war eine echte Seltenheit.

Stattdessen habe ich das Internet zunächst nach Unis, Professoren und Städten durchkämmt, später nach Stipendien (und Wegbeschreibungen), habe mich persönlich und schriftlich unzählige Male beworben, Dokumente gelesen, ausgefüllt, übersetzen und ausstellen lassen, mich über die nicht funktionierende Bürokratie an gewissen öffentlichen Institutionen aufgeregt und noch ungefähr eine Million andere Dinge organisiert. Der Studienabschluss und die Tschaikowsky-Konzerte haben ihr Übriges getan, mich bis an meine Leistungsgrenze zu bringen und sie zwangsläufig auszuweiten. Eine Freundin (die liebe Franzi) beschrieb das so:  "Du machst immer so verrückte Sachen, so als würdest du den Mond nachbauen oder so."

Dazu muss ich noch sagen, dass ich bis relativ kurz vor meiner Abreise nicht einmal wirklich sicher sein konnte, ob meine Pläne überhaupt aufgehen, oder ob die tausende Stunden, Euro und Dollar, die ich bis dahin schon investiert hatte, nicht am Ende doch vergebens sein würden.

 

Während meiner Planung habe ich von vielen Seiten tolle Unterstützung erfahren, sei es in Wort, Tat, Geld oder anderer Hilfe, ohne die ich jetzt vermutlich nicht hier wäre. Die Liste ist viel zu lang, um hier alle zu nennen, dennoch - Danke an meine Familie, Freunde, Lehrer und Clavios und auch einige Unbekannte! Sicher habe ich auch das eine oder andere Mal Glück gehabt. Aber irgendjemand sagte zu mir "Das Glück kommt zu denen, die sich anstrengen" (wer war das? Georg, du?). Geht nicht, gibts nicht, da habe ich einfach noch nicht lange genug dran gearbeitet! 

 

Ob Glück, Anstrengung oder fremde Hilfe, ich bin unglaublich dankbar, dass am Ende alles geklappt hat und ich tatsächlich (wenn auch ziemlich erkältet) gerade in Harlem am Wohnzimmertisch sitze und diesen Blog-Eintrag schreibe.

Mir ist klar, dass ich mit dieser Chance und meinem angenehmen, westlichen Leben privilegiert bin. Aber ich kann ja nichts dafür... im Gegenteil, ich möchte einfach das Tollste daraus machen, was mir einfällt! Und gleichzeitig alle ermutigen, die das hier lesen, es einfach genauso zu machen. Was möchtest du? Dann los, was hindert dich? Fang heute damit an!


Mein Abenteuer begann am 31. Juli. Nachdem ich meine Wohnung vollständig auf leere Möbel, meine Koffer und mich selbst reduziert hatte (und von der lieben Mel noch ganz herzlich verabschiedet wurde), habe ich mich mit zwei tonnenschweren Koffern, einem tonnenschweren Rucksack und einer Tasche auf den Weg zum Bahnhof gemacht. Alles ist möglich, man muss einfach für die Fortbewegung sehr viel Zeit einplanen und Wanderschuhe anziehen, damit es nicht allzu sehr stört, wenn einem rechts und links dauernd 23 Kilo in die Hacken fahren.

 

Zufällig absichtlich bin ich am selben Tag von Frankfurt geflogen, wie meine Eltern eine USA-Reise an die Westküste angetreten haben. Vier Koffer und drei Menschen ist deutlich angenehmer als zwei Koffer und ein Mensch.

Auf dem Bild zu sehen ist die überaus charmante Abflughalle in Amsterdam, von wo aus mein langer Flug begann.

 

Falls hier Amerikaner mitlesen, bitte erklärt mir mal eins: Warum muss man Klimaanlagen auf 15° einstellen? Vor allem da, wo man nicht flüchten kann, in Flugzeugen nämlich? Trotz vorsorglicher Jacke, Schal und Decke habe ich mich monstermäßig erkältet, da können auch die durchgehenden 30° mit Sonnenschein in New York nichts mehr ausrichten.

In New York hat mich dann die liebe Friederike mit dem Auto abgeholt, die wenige Jahre älter ist als ich, verheiratet mit Gary und Mutter der süßen, dreijährigen Eliana. Auf dem Rückweg hab ich gleich wieder gewusst, warum ich den Internationalen Führerschein, welchen ich noch kurz vor meiner Abreise beantragt habe, bestimmt erstmal nicht brauchen werde. Direkt vor unserer Nase hat sich so ein Möchtegern-Drängler quer durch die drei Wartereihen geschoben, dabei aber dummerweise einem anderen Auto den Kotflügel eingefahren und ist dann schnell abgehauen. Der Kotflügel ist, über die rote Ampel, hinterhergebraust. Ich würde gern wissen, wie die Jagd ausging. Ein paar Minuten später kamen wir noch an einer geschrotteten Limousine vorbei, und dauernd lagen irgendwelche Wrackteile und Scherben auf der Straße. Es lebe die U-Bahn!

 

In den vergangenen fünf Tagen die ich schon hier bin war ich schon auf zwei Kindergeburtstagen, habe angefangen mir die Stadt anzusehen und mich bemüht, den schon wieder aufkommenden organisatorischen Wust abzuarbeiten.

Immerhin habe ich schon in der Uni ("The New School") eingecheckt und meinen Studentenausweis bekommen ("Den behalten Sie ein Leben lang, auch wenn Ihnen in 10 Jahren einfällt, dass Sie nochmal studieren wollen") und ein Bankkonto eröffnet (meine Bank hat 7 Tage die Woche offen und an Werktagen bis 19 Uhr, die Karte wurde sofort ausgestellt und die PIN kann man sich aussuchen. Kann das bitte mal jemand der Sparkasse erzählen?).

Obwohl ich wohl besser meine Erkältung auskuriert hätte, habe ich an zwei Tagen ausgedehnte Spaziergänge und -fahrten unternommen und sogar in der Hochschule ein bisschen geübt. Da die Mannes School gerade umzieht, waren nur die Jazz-Räume frei. Dafür erwarten mich dann zu Semesterbeginn am 24. August hoffentlich top-moderne, nagelneue Einrichtungen... :-)


Folgend ein paar Bilder aus New York, der weitere Text befindet sich unter den Bildern. Als erstes:

Berühmt und berüchtigt - Times Square!

Direkt am Times Square befindet sich einer der größten Spielzeugläden der Welt. Da der kleine Reiseführer von Franzi ihn als sehr sehenswert angepriesen hat bin ich mal reingegangen, und das Herz der kleinen Anne hat bestimmt eine Stunde lang höher geschlagen. Auf drei Etagen findet sich...

In diesem Spielzeugladen wimmelte es natürlich von Kindern, die sich begeistern ließen von zahlreichen "Schaustellern", die die Spielzeuge vorführten. Da gab es Bumerangs, fliegende Dronen, 3D-Stifte, Helme mit Irokesenfrisur und alles, was das Kinderherz begehrt.

 

Nur wenige Meter entfernt gibt es einen riesigen M&M-Store mit Tassen, Rucksäcken, Spielzeug, und natürlich ganz ganz ganz vielen bunten Smarties in allen erdenklichen Größen und Farben. Nach Wunsch auch bedruckt mit persönlichen Ideen wie "Happy Birthday" oder "Will you marry me?".

 

Als nächstes war ich auf der High Line (Michael und Miriam, das ist jetzt für euch). Bei diesem Vorzeigeprojekt wurde eine alte Hochbahn in einen 2,3 Kilometerlangen, schmalen Park verwandelt, auf dem man ein Stück spazierengehen kann. Er liegt im Südwesten von Manhatten (unten links... :-))

Über die Fifth Avenue bin ich erst ein Stück zu Fuß nach Norden gelaufen, und am Times Square in der 42. Straße dann wieder in die U-Bahn gestiegen.

Die Orientierung in New York ist theoretisch auch ohne Karte möglich. Die waagrechten Straßen sind durchnummeriert in Streets (ich wohne in der 131. Straße, also ziemlich weit oben), die Straßen von oben nach unten heißen Avenue. Das Ganze verläuft ziemlich schachbrettmusterartig. Der berühmte Broadway zieht sich durch fast ganz Manhatten, allerdings schießt er etwas quer und verläuft leicht diagonal. Außer der Insel Manhattan gibt es noch größere, weitere Stadtteile, grob gesagt Queens, Brooklyn, Bronx und Staten Island.

Da ich aber leider nur mit dem Orientierungssinn eines Goldfischs ausgestattet wurde (nach drei Sekunden weiß ich nicht mehr, wo ich bin) hab ich mich trotzdem schon öfter verlaufen. Beziehungsweise ich bewege mich nach dem Prinzip Trial and Error fort- wenn die nächste Querstraße die falsche Zahl hat, war's die andere Richtung. Was kann ich auch dafür wenn jede U-Bahn-Station zig Ausgänge hat und draußen alles gleich aussieht...


Und wie gehts jetzt weiter?

 

Am Samstag fliege ich erst nochmal richtung Westen und wandere mit einer alten Freundin und ihrem Freund durch Kanada. Mit Florence teile ich mein erstes Fernweh - 2006 haben wir beide einen Frankreich-Deutschland-Schüleraustausch von mehreren Monaten zusammen veranstaltet und uns seit 2008 nicht wieder gesehen.

Bei einem der Kindergeburtstage der letzten Tage war eine Französin und ich habe versucht, etwas zu sagen. Hoffentlich kommen die alten Fähigkeiten schnell wieder zurück.

Und am 24. August beginnt die sogenannte Orientation Week für mein Studium. Dann werde ich meine Fächer erfahren und wählen und hoffentlich über alles aufgeklärt, was jetzt noch im Dunkeln ist.

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit amerikanischen Grüßen. Falls jemand in der Gegend ist, sagt Bescheid, dann gehen wir Kaffee trinken!

 

Außerdem, falls jemand Interesse hat - hier wird ein Au Pair gesucht für eine Anwaltsfamilie mit zwei Söhnen, fünf und sieben. Beginn September oder Oktober diesen Jahres.




Amerikanische Besonderheiten - New York City Characteristics:

 

Wie schon erwähnt - die Klimaanlagen sind immer auf minus 20 Grad eingestellt. Friederike nannte das sexistisch - die Männer in Anzügen fühlen sich wohl, und die Frauen im Kleidchen fangen an zu frieren. Was soll das denn auch, wenn ich im Überaum an den Tasten festfriere? Blöderweise ist sowas ja zentral gesteuert und die Fenster kann man meistens nicht aufmachen.

 

Die Stockwerke werden hier auch beginnend mit der 1 nummeriert. Ist es vielleicht eher eine Deutsche Besonderheit, dass wir das Erdgeschoss eingeführt haben?

 

Die Einsatzfahrzeuge von Polizei und Krankenwagen sind tatsächlich genauso verrückt wie in den amerikanischen Filmen, haben zig verschiedene Sounds (wie in St. Petersburg) und lassen unsere deutschen Krankenwagen richtig langweilig wirken. Außerdem machen sie einen unglaublichen Lärm! Und überhaupt ist New York eine ziemlich laute Stadt, deren geballte Akustikmischung sich vor meinem Schlafzimmerfenster entlädt. Demnächst mehr dazu.

 

Namensschilder an den Türen gibt es hier nicht. Aber auch das scheint vielleicht eher typisch Deutsch zu sein...? Mittlerweile bin ich mir bei vielen Dingen gar nicht mehr sicher ob das jetzt speziell Deutsch ist oder speziell ausländisch...

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Kommentare: 3
  • #1

    Beate (Freitag, 07 August 2015 09:19)

    Hallo Anne,
    Viele liebe Grüße von Hamburg nach New York.
    Ich freue mich sehr, dass wir wieder an Deinen Erlebnissen über dieses Blog teilhaben können. Während Deines St. Petersburg Aufenthalts waren Deine Berichte immer ein Highlight der Woche. Ich bin sicher, für Deine Zeit in New York wird es nicht anders sein. Du schreibst wirklich interessant und anschaulich - schon einmal daran gedacht, Deine Erlebnisse gebündelt und gegenübergestellt als eBook zu veröffentlichen? ;-)
    Ich wünsche Dir jedenfalls eine tolle Zeit und ersteinmal die verdiente Erholung auf Deinem Wanderurlaub.
    Alles Liebe
    Beate

  • #2

    fish (Freitag, 07 August 2015 19:05)

    Danke, Anne.
    Du schreibst wunderbar und ich bin galtt wieder in NY. Hoffe, dass Du auch an der Westküste und Canada (Westen?) weitermachst - beides waren meine schönsten Reisen und ich hoffe, dass sie dich ähnlich inspirieren.
    Liebe Grüße, Leo

  • #3

    Michael (Montag, 31 August 2015 20:10)

    Schön, dass Du an uns gedacht hast. Ja, die Highline war in allen einschlägigen Fachzeitschriften. Scheint eine richtige Oase in der Steinwüste zu sein. Aber es gibt ja noch den Central Park!
    Grüß mir die beiden schönsten Wolkenkratzer, die es gibt - das Chrysler-Building und das Woolworth-Building!
    Michael