Willkommen und Abschied 2.0

*Willkommen und Abschied 1.0 vom 13.06.2013

 

30.05.2017, New York City, JFK Flughafen

 

Mein letzter Blog-Eintrag der "americANNEws", je zur Hälfte geschrieben in NYC und Deutschland. Diesmal gibt es virtuelle Touren durch New York in Wort, Bild und mit dem "Eisenmann", es geht um blubbernde Schlammbäder und Kirchenschätze aus der Nachbarstadt Bad Neustadts, um eine Zeugnisverleihung ohne Zeugnis, unerhört spitze Bleistifte, ein sehr ungewöhnliches Trommelkonzert und allerlei Listen mit Dingen, die ich (nicht) vermissen werde, Dingen, die ich gelernt habe, Dingen, die mich besonders überrascht haben  - und der Lebensweisheit meines Lehrers Jerome Rose

Liebe Blog-Leser, Blog-Leserinnen und Blog-Leserix:

 

Wie schon bei meiner Abreise aus Sankt Petersburg schreibe ich meinen letzten AmericANNEws Blog-Eintrag vom Flughafen aus. In den letzten Tagen und Wochen habe ich noch einmal viel erlebt. Außerdem gibt es weiter unten ein paar hübsche Listen, lustig oder reflektierend, weil ich die so gerne mag. Zunächst hier ein paar der versprochenen Fotos vom Konzert in der Carnegie Hall, für das es inzwischen eine Konzertkritik gibt, bei der ich erfreulicherweise ziemlich gut weggekommen bin.

(Alle Bilder (c) Beowulf Sherhan)

Ansonsten war mein Studium nach diesem Konzert und meinem Master Recital quasi zu Ende. Ein paar Fächer hatte ich noch bis zum Ende zu besuchen, ein, zwei kleine Präsentationen und ein Konzert mit Neuer Musik (dazu später mehr). Meinen verehrten Jerome Rose habe ich auch noch ein paar Mal besucht und mein und sein ambitioniertes Vorhaben einigermaßen umgesetzt: Bis zu meinem Abschied noch die letzte Beethovensonate, op. 111, mit ihm zu erarbeiten. 

Mitte Mai hat mich für eine Woche eine Freundin (Nina) besucht, so dass ich den perfekten Grund hatte, noch mal eine große Runde Sightseeing zu betreiben! Auch mit anderen Freunden und allein habe ich mir noch ein vorläufig letztes Mal neue Dinge angeschaut und ausprobiert, die ich in New York schon lange machen wollte, oder habe ein letztes Mal meine Lieblingsorte besucht.

 

Eine Auswahl, die auch als Touristen-Empfehlung gelten kann:

 

Mit meiner Freundin Nina bin ich zum Rockaway Beach gefahren, nicht weit vom JFK-Airport. Zu dem Zeitpunkt hatte es in New York gerade 30° Celsius und wir packten unsere Badesachen ein. Am Strand allerdings froren wir nach einiger Zeit so stark, dass wir uns am liebsten irgendwo verkrochen hätten. Der Wind wehte nämlich ziemlich streng vom 12° kalten Wasser herüber. Ich habe nur den großen Zeh ins Wasser gehalten, Nina ist tatsächlich reingehüpft. Dafür habe ich aber die größte Muschel mitgenommen, die ich je an einem Strand gefunden habe. Rockaway Beach ist im Gegensatz zum bekannteren Strand Cooney Island weniger übertouristisiert. Dafür gibt es dort halt keine Achterbahn.

 

Zum ersten Mal bin ich mit der Seilbahn von Manhattan nach Roosevelt Island (liegt im East River) gefahren. Die Fahrt ist kurz, bietet aber eine spektakuläre Aussicht auf den Fluss, Teile Manhattans und eine Straßenschlucht. De Insel ist dafür sterbenslangweilig und hat außer ein paar Plattenbauten und einem Park nichts zu bieten. Aber: Die Seilbahn gehört zum Nahverkehr und kostet nur so viel wie eine Metrofahrt.

 

Glück im Unglück hatten wir, als wir zum Botanic Garden in Brooklyn gefahren sind. Nach 90 Minuten Anreise mit der U-Bahn stellten wir fest, dass er Montags zu hat. Blöd. Also sind wir in den Park nebenan gegangen und am nächsten Tag noch einmal hingefahren. Hurra: Dienstags ist im dort freier Eintritt! Fazit: Die sollten ihrer Website mal überarbeiten, denn beides habe ich trotz Nachforschungen nicht gesehen.

 

Zum ersten, sicher aber nicht letzten Mal bin ich endlich auch ins Guggenheim Museum gegangen, welches die weltberühmte Wirbel-Architektur aufweist und tolle, eher moderne Kunst beinhaltet. Neben Wanderausstellungen gibt es dort Zeichnungen mit Tinte (?) von Van Gogh, die so genial sind, dass sie genauso lebendig und und farbig aussehen wie seine Ölgemälde.

 

Außerdem war ich mit Nina zum wiederholten Male im riesigen Metropolitan Museum of Art (wo wir 15 Minuten in Kälte und Regen anstanden, bis wir bis auf die Knochen durchweicht waren - denn bei Regen haben halt alle dieselbe Idee). Dort gibt es alles. Kunst jüngeren und älteren Datums, einen ägyptischen Tempel, römische Statuen, russische Ostereier...

 

Und natürlich war ich auch noch zweimal im Moma (Museum of modern Art), meinem absoluten Lieblingsmuseum, wo ich mit meinem Studentenausweis umsonst hineinkomme. Ich habe mich von Monets Seerosen und Van Goghs Sternennacht verabschiedet, schweren Herzens, und werde sie hoffentlich bald wiedersehen.

 

Mit zwei Freunden war ich endlich bei den Cloisters ganz oben in Manhattan. Dies ist ein "Museum" das zum Metropolitan Museum gehört und historische Kirchenschätze aus Europa beinhaltet. Wie genau die dort hingekommen sind, weiß ich nicht. Als erstes sprang mir eine Holzfigur von Riemenschneider aus Würzburg entgegen und dann eine riesige Figur aus der Nachbarstadt von Bad Neustadt (dazu später mehr). Mein Eindruck: Wenn man keine eigene Kirchengeschichte dieser Art zu bieten hat, holt man sie sich eben. Für Europäer, die tausende solcher Kloster und Kirchen haben, nichts Besonderes, hier eine echte Attraktion. Für mich war also die Attraktion, dass es eine Attraktion war.

 

Ein ebenfalls lange verschobenes und nun endlich ausgeführtes Vorhaben war das Kajakfahren auf dem Hudson River, das kostenlos angeboten wird. Just an meinem letzten Wochenende wurde die Saison eröffnet, und ich bin mit Friederike (bei der ich das erste Jahr gewohnt habe) und ihren inzwischen zwei Kindern Eliana und Kai auf dem Wasser gepaddelt. Schwimmwesten, Boote und Paddel werden gestellt und man darf um die 20 Minuten in Reichweite der Anlegestelle herumpaddeln. Sehr zu empfehlen!

 

Weiterhin habe ich mir endlich die auf historisch gemachte, riesige New York Public Library an der Fifth Avenue angesehen, bin mit Nina zum wiederholten Male über die Brooklyn Bridge gelaufen (wobei das Wetter erst traumhaft und gegen Ende ziemlich feucht wurde...) und war mit ihr natürlich auch einmal am Times Square - am Abend, bevor ein verrückter Betrunkener dort mehrere Menschen angefahren hat.

Persönliche NYC-Tour in Fotos:

 

Auch Konzerte habe ich noch ein paar sehr eindrückliche Besucht:

 

Das Dover String Quartet, von dem ich schon öfter geschwärmt habe, spielte ein unvollendetes Quartett von Haydn (der erstaunlicherweise nur den 2. und 3. Satz komponiert hat) und ein magisches 2. Streichquartett von Schostakowitsch. Nach der Pause gab es noch das Quintett mit Klarinette von Brahms. Ich glaube, dieses junge Streichquartett ist das beste, was ich je gehört habe. So wunderschön musiziert, dabei aber frisch, lebendig und kreativ... hach!

 

In der Carnegie Hall hörte ich außerdem Murray Perahia mit einem Klavierabend. Er spielte zunächst die 6. Französische Suite von Bach und die vier späten Impromptus von Schubert. Ich sage sowas ja selten, aber diese erste Hälfte war wirklich perfekt. So schön gespielt, dass ich mich sehr bemühen musste nicht in Tränen auszubrechen. Da war eine Ruhe, Besonnenheit und Größe, gleichzeitig aber auch eine Einfachheit und Durchsichtigkeit. Leider konnte er dieses Niveau in der zweiten Hälfte nicht ganz halten. Nach einem Mozart-Rondo, das für mich etwas deplaziert daherkam, spielte er op. 111 von Beethoven (die Sonate, die ich auch gerade übe). Die Sonate ist eine halbe Stunde lang und musikalisch, technisch und vor allem emotional sehr anstrengend. Da ist ihm anscheinend die Kraft oder Konzentration ausgegangen. Es war nicht schlecht, aber deutlich unter dem Niveau der ersten Hälfte. Erstaunlich viele Fehler, harsche Töne, Undurchsichtgkeit und Nervosität. Merke: Wenn ich die Sonate im Konzert spiele, sollte ich testen, ob ich noch genug Energie dafür habe an der Stelle im Programm, wo ich sie vorsehe.

 

Auch im Lincoln Center war ich noch einmal und habe Brahms Violinkonzert mit dem griechischen Geiger Kavakos gehört (sehr gut) sowie das Forellenquintett von Schumann. Das Besondere aber war ein kleines After-Konzert mit "musical Postcards", wo Kompositionen von Kindern gespielt wurden, die sie für andere Kinder in Krisensituationen komponiert hatten. Orchestermitglieder spielten in kammermusikalischer bzw. Kammerorchester-Besetzung. Sehr beeindruckend fand ich das Stück der jüngsten Komponistin, ein israelisches Mädchen von neun Jahren. Sie lernt an ihrer Musikschule wohl das Orchestrieren, hat aber alles selbst komponiert. Grund meines Konzertbesuchs aber war mein afghanischer Kurzzeitschüler Milad, der inzwischen an der Mannes School Klavier studiert. Obwohl er schon Anfang 20 ist, hat man auch von ihm eine Komposition gespielt: Freedom. Sie war sehr gut und fortgeschritten, und ich habe aus den Reihen neben mir viel Bewunderung für ihn gehört. Danach habe mich mich mit Milad noch ein bisschen unterhalten. Er macht das allerbeste aus seiner Situation und nutzt trotz des tragischen Anlasses seines Flüchtlingsdaseins die Chance, in New York zu sein. Inzwischen kennt er viele Leute, erhält ziemlich gute Kompositionsaufträge und hat hunderttausend Ideen und Projekte, die er alle am besten bis vorgestern umgesetzt haben möchte. Ich bin gespannt was er noch alles tun wird und stolz, ihn zu kennen.

 

Das ungewöhnlichste Konzert war eine Konzert mit Werken von Steve Reich mit dem Namen "Group Halluzination". Mein Freund Dan hat mich mitgeschleppt und gesagt, das wäre coolste Minimal Music. Ich dachte, ich stehe nicht so auf Minimalism, aber seine Begeisterung war so extrem groß, dass ich mitgegangen bin. Das Konzert war eines der tollsten und unvergesslichsten, das ich je besucht habe. In einem theaterähnlichen Raum ohne Stühle stellte oder setzte sich das Publikum im Kreis um die Musiker, welche mit Bongos, Marimbaphones und Glockenspielen in der Mitte waren. Ich saß mit ein paar Freunden auf der Bühne. Das Licht war dunkel und lila, änderte ab und zu die Schattierung und bewegte sich im Rhythmus der Musik. Und das war auch Gegenstand des Konzertes: Rhythmus. Zunächst gab es zwei kürzere Stücke mit Klangstäben und einer Loop-Station auf der Gitarre, die jeweils mit sich wiederholenden Rhythmen und Pattern arbeiteten. Danach kam das Hauptstück: Drumming. Es dauert 60 bis 90 Minuten. Zunächst wird auf den Bongas getrommelt, eine Person, zwei, drei, vier oder mehr. Es erinnert an afrikanische Eingeborenenstämme. Die Pattern werden unzählige Male wiederholt, dann ändert sich etwas Kleines. Sie überlagern sich und man meint, alles fiele auseinander, aber das tut es nie. Anschließend spielen die Marimbas und dann die Glockenspiele, und am Ende alle drei Instrumentengruppen. Während des Konzertes gab es außerdem am Boden und vor allem in der Luft Akrobatikvorführungen von Artisten und Tänzern.

 

Ich weiß nicht, wie spektakulär sich das anhört, aber das Erlebnis war extrem eindrücklich. Diese Art von Musik ist so unmittelbar, dass man sich ihr nicht entziehen kann, man wird freiwillig oder unfreiwillig hineingesogen. Die Rhythmen vereinnahmen einen, und es ist nicht nur die intellektuell-geistige Ebene auf der man die Musik wahrnimmt, sondern auch die rein körperliche. Der Titel ist nicht zufällig gewählt, man fühlt sich fast wie hypnotisiert. Ganz davon abgesehen waren die Rhythmen und Motive sehr gut und abwechslungsreich. Ich kannte einen der Percussionisten und konnte kaum glauben, dass sie nur einmal vor dem Konzert für drei Stunden geprobt hatten...

 

Das offizielle Ende meines Studiums markierte die Graduation Ceremony, auch Commencement genannt, von Mannes. Da durften alle über die Bühne gehen und sich eine leere Zeugnishülle abholen. Zur Zeremonie der ganzen Uni bin ich nicht hingegangen und auch die meisten meiner Freunde nicht, da sie wahnsinnig weit weg in Queens war, man sich dieses komische Sackgewand für unglaublich viel Geld hätte kaufen müssen und man eigentlich dort gar nichts zu tun hatte. Es ist wohl eher so ein Eltern-Event, damit man Fotos von den Kindern machen kann. Da meine Eltern aber nicht da waren und ich Menschenmassen eher vermeide, habe ich kein Hut-Bild von mir.

In den letzten Tagen habe ich mich noch unzählige Male verabschiedet. In der Gruppe, zu dritt, zu zweit und allein. Von Menschen, Gebäuden und Gegenden. Mit zwei guten Freunden von Mannes, Braam aus Südafrika und Andrew aus Kalifornien (mit Abstammung aus Taiwan) war ich zweimal wahnsinnig gut Essen. Einmal gab es "unlimited Sushi" für zwei Stunden, dazu warmen Reiswein. Selten war ich so voll in meinem Leben. Danach bestanden die beiden noch auf Long Island Icetea. Wer weiß wovon ich rede, weiß, wovon ich rede... :-) Das Sushi war unglaublich gut. Der Deal: Für 28$ (plus Steuer und Trinkgeld, also ca 40$) gab es jene zwei Stunden Sushi und drei Getränke, auch alkoholische. Für New York ist das ein unschlagbar guter Deal.

 

Das zweite Mal waren wir in einem kleinen japanischen Restaurant, das eher an eine Bar erinnert. Aber das Essen war aber überhaupt nicht Pub: Wir begannen mit je einem Cocktail. Vermutlich war das das teuerste Getränk meines Lebens. Gefühlt 0,1 Liter kosteten 13$. Normaler Preis für einen Cocktail hier. Braams Cocktail wurde vor unseren Augen angezündet! Danach aß ich die zweite und vorerst letzte Auster meines Lebens (ich verstehe nach wie vor nicht, was daran so spektakulär ist), dann eine sehr gute kleine Shrimp-Vorspeise. Und danach gab es Ramen, Nudelsuppe. Aber nicht irgendeine. Ramen ist hier sehr beliebt und berühmt. Sie ist besonders gewürzt und enthält Fleisch, Gemüse, Ei und Gewürze. Ich habe noch nie jemanden so beeindruckt von einem Gericht gesehen, wie Andrew von diesem Ramen. Er sagte, er habe schon 100 Ramen gegessen, diese sei die beste. Von Food-Orgasmus sprach er und davon, dass er nie wieder woanders Ramen essen können würde. Heute erzählte mir, seit unserem Abendessen hätte er keinen Bissen billigen amerikanischen Essens mehr genießen können. Ich glaube, ich muss ihn mal nach Deutschland einladen... Das Restaurant heißt übrigens "Rokc" und ist in der 141st Street in West Harlem.

 

Am Sonntag, meinem letzten New York Tag, habe ich die erwähnte Kajak-Fahrt unternommen und meinen Lehrer besucht, danach den Abend allein und ruhig in meinem Zimmer verbracht, meine Koffer zum fünften Mal umgeschichtet und mich mental auf meine Abreise vorbereitet. Heute morgen hat mich noch eine Familie, die mich mal zu sich in ihr Riesenhaus in Mountain Lakes eingeladen hatte (ich berichtete) zum Frühstück eingeladen mit zwei anderen Mädchen aus Frankreich. Das Café war wirklich hübsch, das Essen gut, genauso, wie ich es in Deutschland vermisse. Mit dem Unterschied, dass man rausgeworfen wird, sobald man nichts mehr bestellt, und einem etwa dreimal so hohen Preis wie in Deutschland...

 

Schließlich wollte ich mir mit einem anderen I-House-Bewohner ein Taxi zum Flughafen teilen. Man wird ja immer vor privaten Taxianbietern gewarnt, aber der andere "kannte da jemanden". Soso. Es stellte sich heraus, dass er statt im Norden Manhattans irgendwo in Brooklyn auf uns wartete und außerdem plötzlich mehr Geld verlangte, als wir ausgemacht hatten. Und ich hatte am Abend vorher noch gefragt "is he reliable?". Wohl nicht. Wir schickten ihn zum Mond (vielleicht kann er da jemanden rumfahren) und teilten uns ein normales Taxi. Zum JFK gibt es zum Glück eine Flatfare und wir bezahlten nur 29$ pro Person für eine gute Stunde fahrt.

Nun zu meinen Listen, Überlegungen und Fazits :

Woran erkennt man in New York Touristen:

1. Sie laufen zu langsam

2. Wenn die U-Bahn losfährt, fallen sie um

3. Sie verstopfen den Times Square oder die 5th Avenue

4. Sie unterhalten sich in der U-Bahn (am besten auf Deutsch, so dass ich sie belauschen kann)

5. Sie wedeln mit ihrer Straßenkarte herum

6. Sie schaffen es erst beim fünften Anlauf durch das Drehkreuz zur Metro (das "Swipen" der Metrokarte erfordert tatsächlich etwas Übung und Geschick)

7. Ich sage nur: Selfie-Stick

8. Sie tragen keine Kopfhörer

9. Sie bleiben an roten Ampeln stehen

10. Habe ich erwähnt: Sie laufen zu langsam.

Was in New York absolut klasse ist und was ich vermissen werde:

 

1. Kostenloses Leitungswasser in Restaurants (allerdings immer mit Eis... grässlich kalt)

2. Trinkbrunnen überall (allerdings: Keine öffentlichen Toiletten)

3. Super tolle Kunst, Museen, Konzerte, Veranstaltungen

4. Die Vielfältigkeit der Stadtviertel - von entwicklungsländisch über Künstlerviertel bis Dubai Airport ist quasi alles vertreten

5. Die Vielfältigkeit der Bewohner auf allen vorstellbaren Ebenen - Herkunft, Beruf, Charakter, Orientierung, Religion, Lebensweise, Status...

6. Die Vielfältigkeit der Angebote - nach solch einem Steve Reich Konzert müsste ich in Deutschland sicher lange suchen und weit fahren. Hier gibt es alles, und jede Nische findet ihr Publikum. Ein Freund von mir ist Countertenor und kombiniert das mit Klavier, Gitarre oder: Beatboxing. Wieso auch nicht?

7. Dieses schwer erklärbare, energiegeladene Pulsieren der Stadt, das einen antreibt und kreative Schübe verleiht.

8. Die Offenheit der Leute. Man lernt so oft und einfach interessante Menschen kennen, kommt ins Gespräch. Das können die Deutschen  noch lernen. Vermutlich gibt es deshalb hier so viele Startups - Geht man ins Café, schwups, hat man einen neuen Partner gefunden, mit dem man eine selbstaufräumende Küche entwickelt.

9. Viele neue Freunde, die ich hier gefunden habe. Ich bin ja nicht jemand, der holladihopp sofort einen neuen Freundeskreis hat. Das liegt schon daran, dass ich jemanden überhaupt erst fünfmal sehen muss, bis ich mich an sein Gesicht erinnere. Nach zwei Jahren aber habe ich doch einige Menschen kennengelernt, mit denen ich sicher noch lange und vielleicht für immer Kontakt halten möchte und werde.

10. Obwohl in den USA längst nicht alles besser ist, werde ich auch meine Uni vermissen. Hier gab es so viele tolle, vielfältige Fächer, die ich in Deutschland nicht angeboten bekommen habe, vor allem die ganzen entrepreneurial Fächer. Außerdem hängt man doch an jede Ausbildungsstätte und jeden Ort, an dem man mal gelebt und gewirkt hat, sein Herz. Zumindest ich.

h habe darüber nachgedacht, warum gerade New York so ein Brodelkessel geworden ist. Sicher gibt es dafür viele Gründe, zum Beispiel den historischen, dass hier die ganzen coolen Einwanderer ankamen. Ich schätze es liegt aber auch daran, dass Manhattan so klein ist. Alles findet auf engstem Raum statt, man begegnet sich zwangsläufig dauernd und interagiert miteinander.

Was ich überhaupt nicht vermissen werde bzw. nicht gut finde (und warum)

 

1. Klimaanlagen - das schlimmste Übel der Amerikaner. Im Winter verhelfen sie zu 25° Raumtemperatur, im Sommer zu 18°. Wegen ihnen muss man immer für alle Wetterlagen Kleidung dabeihaben, bekommt Kopfweh von der Zugluft und Frostbeulen beim Üben. Vor allem ärgert mich die unsägliche Energieverschwendung (wie wär's mal mit Fenster auf oder Pullover aus?) und die unerhörte Fremdbestimmung. Denn sie sind immer zentralgesteuert und man kann sie nicht ausstellen. Klingt komisch, aber das ist ein triftiger Grund für mich, nicht in den USA zu leben. Es beeinträchtigt meine Lebensqualität erheblich.

2. Bewegungsmelder. Hier funktionieren mitunter Toilette, Wasserhahn, Föhn / Handtuchspender, Licht usw. automatisch. Leider aber nicht immer dann, wenn man sie braucht, bzw. wenn man sie nicht braucht, gehen sie los. Ich freue mich darauf, einen Wasserhahn anzumachen, mir die Hände zu waschen, ihn wieder auszumachen. Nach meinem Toilettenbesuch verantwortungsbewusst und bedacht das Knöpfchen am Klosett zu drücken... Spielt in dieselbe Richtung wie die Klimaanlagen. Die Sorge um Klima, Umwelt und Energie gepaart mit der Gedanken- und Sorglosigkeit vieler hier nimmt merkwürdige Auswüchse an. Anderes Beispiel: Das Schlüsselkartensystem im I-House ist komplett ausgefallen, wir kamen nicht mehr in unsere Räume für mehrere Tage bzw. nur mit fremder Hilfe. Ins Badezimmer auch nicht.

3. Ebenfalls in dieselbe Richtung spielt die absurde Paranoia: In Raum x dürfen sich exakt 367 Personen aufhalten und keiner mehr. Der Feueralarm geht zu oft los, auf Beistiftspitzern wird vor spitzen Bleistiften gewarnt (siehe Bild) und auf Kaffeetassen vor heißem Kaffee. Die Rückwärtsgänge und Alarmanlagen von Autos machen einen ungeheuren Lärm. Toilettentüren gehen nach innen auf (vielleicht, damit man auch sicher wieder herauskommt?), was zur Folge hat, dass man selbst als schlanker Mensch kaum hinein und hinauskommt. Auch hier beschleicht mich wieder das unangenehme Gefühl von Bevormundung, die man einem minderbemittelten oder sehr jungen und unerfahrenen Menschen zuteil werden lassen muss. Denken scheint hier nicht selbstverständlich.

4. Womit wir beim Lärm sind: New York ist der lauteste Ort, an dem ich jemals war. Telefonieren auf offener Straße kaum möglich. Die Motoren sind doppelt so laut wie in Deutschland, die Sirenen auch.

5. Außerdem sind die Menschenmassen sehr anstrengend, auf manchen Gehsteigen passen keine drei Menschen nebeneinander (ungelogen), und seine akustische oder persönliche Ruhe hat man in ganz Manhatten quasi nirgends.

6. Hier ist einiges marode, vor allem sämtliche Transportsysteme. Die Subway macht ständig Probleme, fällt wegen Stromausfall aus (! - ich berichtete). Der Aufzug im I-House wurde wegen irgendwelcher Vorgaben s e c h s Wochen lang renoviert, um danach noch ein nerviges Piepsgeräusch zusätzlich von sich zu geben und eine neue Hintergrundbeleuchtung der Bedienungsknöpfe aufzuweisen. Das Warmwasser ist mehrfach ausgefallen. Achja, und das Wlan im I-House war eine absolute Katastrophe, die man auch trotz mehrfacher Versuche in einem 21sten Jahrhundert nicht in den Griff bekam.

7. Einkaufen: Ich freue mich, hochqualitative Lebensmittel für günstiges Geld in meiner näheren Umgebung einkaufen zu können. Der Preis wird wieder an jedem Lebensmittel stehen und an der Kasse bezahle ich auch den Preis, der als Sonderangebot angepriesen wurde. Ich bekomme keine fünfundsiebzig Plastiktüten dreifach ineinander ungefragt um meinen Plastikkäse gewickelt. Ich werde wieder eine gute Auswahl an Obst, Gemüse, Käse, Obst und Joghurt haben, und eine Flasche Shampoo wird nicht mehr 10$ kosten.

8. Ganz grundsätzlich: Ein Hauptgrund meines Rückzugs sind sämtliche "Sozialsysteme" in den USA. Gesundheitssystem, Rechtssystem, Bildungssystem, Sozialabsicherung. Ich glaube, dazu muss ich nicht viel sagen.

9. Womit wir bei der Politik sind: Die jüngste Entwicklung finde ich absolut abschreckend, und auch wenn längst nicht alle mit der aktuellen Regierung auf Kurs sind finde ich es eine Horrorvorstellung, das Land mit einer so großen Menge an Menschen zu teilen, die diese Art der Unmenschlichkeit, Egoismus und Kurzsichtigkeit unterstützen.

10. Mir fehlte hier immer etwas, und ich war nicht so sicher, was es war. Mit den Monaten habe ich es dann gemerkt: Es ist die europäische Lebenskultur. Ich vermisse verkehrsberuhigte historische Altstädte, Marktplätze mit hübschen Cafés, wo man in Ruhe sitzen kann, solange man möchte, alte Kirchen, Fachwerkhäuser, kleine, verschlafene Dörfchen.  

 

04.06.2017, Bad Neustadt:

 

Die größten Überraschungen und Dinge, die ich nicht erwartet habe:

 

1. Ich bin relativ blauäugig nach New York gegangen und wusste nicht, dass Spanisch dort eine so weit verbreitete Sprache ist. In manchen Teilen von New York hört man mehr Spanisch als Englisch.

2. Bleiben wir bei der Sprache: Deutsch und Deutschland sind dort sehr beliebt und bekannt, erstaunlich viele, mit denen ich gesprochen habe, waren schon in Deutschland (vor allem: Berlin) oder sprechen sogar etwas deutsch. Viele mögen Deutschland sehr und kommen mehrfach.

3. Ich kenne keine deutsche Großstadt richtig gut. Aber ist es da auch so, dass es auf der Straße dauernd nach Gras riecht?

4. Das deutsche Ausbildungs-System ("Ich gehe in einen Betrieb und lerne da") gibt es in den USA anscheinend in der Form nicht. Ich dachte, das wäre etwas universelles. Stattdessen gibt es Schools und Colleges für alles Mögliche, auch wenn man Dachdecker oder Klempner werden möchte.

5. Ich war auch erstaunt, wie viel an den ganzen Vorurteilen und Klischees (Obdachlose mit Pappschildern etc.) dran ist. Wir sollten uns mal mit den deutschen Klischees beschäftigen, die stimmen bestimmt auch...

6. "Den Amerikaner" gibt es in New York kaum. Ganz viele sind erst in jüngerer Zeit eingewandert. Sie heißen Goodman oder Gutmann, Schreiner, Zeichner, Kim, Yang, Bonamici oder Bustillo. Ich hab irgendwo gelesen: 50% der New Yorker sprechen zu Hause eine andere Sprache als Englisch.

 

Lustige Zufälle:

 

1. Angeblich kennt jeder jeden auf der Welt über ein paar wenige Ecken. Das habe ich auch in New York gemerkt. Mein Freund aus Südafrika kennt eine ehemalige Klavierstudentin aus Südafrika, die mit mir in Würzburg studiert hat.

2. Ein junger Doktorand aus Paris, den ich ganz zufällig kennenlernte, weil ich in einem Konzert neben ihm saß (!), hat zusammen mit einem anderen Bekannten aus Paris studiert, den ich im International House kennengelernt habe. Das haben wir erst nach Wochen gemerkt.

3. Als ich in meiner Uni einmal in einen Aufzug stieg, stand ein Kollege aus Würzburg vor mir...

4. In den Cloisters, von denen ich weiter oben berichtete, steht eine Holzfigur von Jesus auf dem Esel, die aus der Nachbarsstadt stammt.

5. Das International House liegt in Laufweite von meiner allerersten Airbnb Unterkunft, in der ich während meiner Aufnahmeprüfung vor über zwei Jahren gewohnt habe.

 

Was ich gelernt habe:

 

1. Ich habe mich ausführlich mit Neuer Musik, anderen Stilrichtungen und Improvisation beschäftigt. Dafür hat mir bisher ein Angebot an Unterricht oder Fächern gefehlt, beziehungsweise ich war noch zu sehr damit beschäftigt, Klavierspielen zu lernen. Dies hat meinen Horizont aber sehr erweitert und nicht zuletzt dazu geführt, dass ich wieder mit dem Komponieren angefangen habe: Letztes Jahr habe ich ein 50-minütiges Stück für Kinder geschrieben mit Text und Musik, das ich hoffentlich bald zur Uraufführung bringe und aus dem auch ein Filmprojekt wird.

2. "Den Lebensentwurf" gibt es nicht. In Deutschland gilt ein Künstler, der nebenbei einen Erwerb zum Brotverdienen hat, als gescheitert. In New York ist das eine ganz normale Praxis, da wird keiner schräg angeschaut. Bei uns gälte er als Verkäufer, der als Hobby fotografiert / malt / Harfe spielt. So ein Blödsinn. Jeder tut einfach das was er möchte, wie er es möchte, wann und wo, und findet sein ganz persönliches "Richtig" im Leben. Egal, was andere davon halten mögen.

3. Wenn du etwas möchtest, sieh zu, dass es geschieht. Warte nicht darauf. Lerne es und vor allem: Wage es! Nicht, dass mir das nicht schon vorher klar gewesen wäre, aber in den USA habe ich das besonders stark vor Augen geführt bekommen. Die Chefin der Metropolitan Opera, der jüngste Composer in Residence derselben, ein Konzertkritiker der New York Times und viele andere haben aus ihrem Leben erzählt, und das Fazit war: Als wir angefangen haben, hatten wir davon auch keine Ahnung, wir haben einfach angefangen, uns bemüht und hart gearbeitet. In den unternehmerischen Fächern habe ich genauer gelernt wie man Projekte plant und angeht, wie man ein guter Chef ist und wie man als kreativer und mündiger Künstler überlebt.

4. Ich habe mich mit Feldenkrais beschäftigt und kenne aus Würzburg ja schon die Alexandertechnik. Beides sind im weitesten Sinne Körperübungen, die die Wahrnehmung für Bewegungen, den Körper und Geist schärfen. Das hat mir sehr viel genützt und ich halte es für essentiell für jeden Musiker und eigentlich jeden Menschen, die eigene Selbstwahrnehmung zu verbessern.

5. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie stark man unwillentlich von außen beeinflusst wird. Negativ-Beispiel: Schon nach wenigen Wochen war Spanisch für mich zur Sprache der Unterschicht geworden. Südamerikaner haben in NYC einen ähnlichen Stand wie bei uns Osteuropäer. Dabei hatte ich drei Jahre Spanisch in der Schule, da hatte ich dieses Gefühl nie auch nur ansatzweise gehabt. Positiv-Beispiel: Kurz vor meiner Abreise fuhr ich nach längerer Zeit wieder mit einer U-Bahn-Linie, die ich am Anfang täglich genommen hatte. Irgendwann fiel mir wieder ein, was ich damals oft bemerkt hatte und mir jetzt gar nicht mehr aufgefallen war: Ich war die einzige Weiße im Abteil. Ich nehme das Äußere natürlich noch immer wahr, aber es sticht mir nicht mehr ganz so krass ins Auge wie früher. Manchmal vergesse ich wenn ich  mit jemandem spreche, welche "Rasse" er hat. Ich sehe nur noch, dass da ein Mensch mit mir redet. Wenn ich sowas ab und zu bemerke, freue ich mich immer.

6. Mein Englisch ist nun auf einem Niveau angelangt, wo ich unfreiwillig durch die grauenhaften Texte der Radiohits belästigt werde ("I didn't know how hungry I was until I tasted you" oder so). Am anspruchsvollsten finde ich amerikanisches Fernsehen. Französische Filme versteht man mit einem Bruchteil der entsprechend benötigten Englischkenntnisse, meiner Erfahrung nach.

8. Ich glaube, ich kann mich jetzt fast überall auf der Welt zurechtfinden.

9. Meine Hemmschwelle, Menschen anzusprechen ist sicher etwas gesunken. Dafür ist die Hemmschwelle, mich mit langweiligen, nervigen und energiesaugenden Subjekten zu beschäftigen allerdings gestiegen.

10. Mir geht's echt ziemlich gut und ich habe viel Glück gehabt. Und bevor sich jetzt einer beschwert: Das gilt auch mit ziemlicher Sicherheit für fast jeden, der meinen Blog liest.

Wie oben am Datum bereits angedeutet, bin ich während des Blog-Eintrages ein paar 1000 Kilometer nach Osten gewandert. Meine Eltern füttern mich fleißig mit Obst, Gemüse und Schokolade, um die Mangelerscheinungen der letzten zwei Jahre auszugleichen. Ich habe schon stundenlang Unkraut im Garten ausgerissen, weil ich fast vergessen hatte, wie feuchte Erde riecht. Ich habe mich auf die Wiese in die Sonne gelegt und in Ruhe (!) ein Buch gelesen. Ich habe ohne Ohrstöpsel geschlafen, weißen Spargel gegessen und mir mein altes, neues Gymnasium angeschaut.

Wenn mein echtes Leben wieder losgeht werde ich merken, wie gut ich wieder in Deutschland ankomme. Ich glaube, ich vermisse New York jetzt schon. Aber ich vermisse auch Sankt Petersburg, und wenn ich wieder weg wäre, würde ich Deutschland vermissen. Das ist der Fluch und der Segen der Reisenden. Mein Lehrer Jerome Rose erinnerte mich bei unserem letzten Treffen und seiner Mail nach Deutschland an seine "berühmte" Lebensweisheit: "What do you need in life? - Everything." Ich arbeite dran.

 

Ich bedanke mich bei euch allen, die heimlich oder unheimlich meinen Blog verfolgt haben, den ich ja eigentlich nur für mich selber geschrieben habe. Bei allen, die mich in verschiedener Weise und auf verschiedenen Wegen unterstützt und begleitet haben und sich mit mir über Erfolge gefreut und mich in schwierigen Zeiten aufgebaut haben. Ich hoffe, dass ich viele von euch bald persönlich wiedersehe!

 

Und nun wünsche ich euch schöne Pfingstferien und ein wunderbares Restleben. Vielleicht gibt es ja mal wieder einen Anne-Blog...

 

Eure Anne

 

PS: Ein kleines Schmankerl gibt es noch zum Schluss. Am Anfang meiner Zeit in NYC habe bei einer Unterhaltung mit der Alufolie gespielt, in die mein Mittagessen eingepackt war. Ich stellte fest, dass mein unfreiwilliges Kunstwerk ein wenig der Freiheitsstatue ähnelte und beschloss, es zu behalten. Fortan hat es mich ab und zu bei meinen Touren durch die Stadt begleitet und sich hin und wieder einfach so ins Foto geschlichen. Auf diese Weise gibt es eine Tour durch New York mit dem "Eisenmann", wie ihn meine Mutter beim elterlichen Besuch 2016 liebevoll getauft hat. Schön, dass man das auf Englisch mit "Ironman" übersetzen kann, nicht? Hier also kommt der Eisenmann. Vielleicht sollte ich ihn bei Ebay versteigern? ;-D

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