1 à la manière de...

Im ersten Blog-Eintrag des Jahres 2017 berichte ich endlich davon, wie meine erste CD entstanden ist, erzähle von den Fächern des letzten Semesters, in denen ein kleiner, historischer Flügel mit perfekt proportionierter Lehrerin vorkommt, ein Fach, in dem Einschlafen ausdrücklich erlaubt ist und ein Fach, in dem ich Mitarbeiter der New York Times, der Carnegie Hall und von Universal Classics kennengelernt habe.

Außerdem erzähle ich von einem Projekt, für das ich in mir völlig unbekannte Bereiche der Kunst eintauche, für die ich zum Beispiel als Ameise auf dem Boden herumkrieche, und ganz am Ende beschreibe ich noch hautnah einen hausinternen, Blog-parallelen Endspurt gegen die Zeit, an dem mich wieder mal beinahe ein Film-Team im Gemeinschaftsraum gehindert hätte...

Ich habe versprochen, dass es vor Weihnachten noch einen neuen Blog-Eintrag gibt. Das gute daran: Ich habe mein Versprechen gehalten, denn es ist vor Weihnachten! Nur noch 10 Monate und ein paar Zerquetschte. :-)

Ganz eventuell hätte ich mich natürlich auch vor Weihnachten 2016 noch einmal melden können, aber das ist aus Gründen, die ich nicht zu vertreten habe, zeitlich nicht ganz hingekommen. Denn: In meinem nächsten Blog-Eintrag wollte ich endlich von meiner CD-Produktion berichten, und die CD hat mit ihrer Produktion noch ein bisschen auf sich warten lassen. Nun ist sie endlich fertig! Offiziell erscheint sie erst im März, aber die Anne hat natürlich schon vor dem veranschlagten Verkaufsdatum ein paar Exemplare für ihre engsten Vertrauten verfügbar. Da sich die meisten kaum vorstellen können wie so eine CD entsteht (mich bis vor kurzem eingeschlossen), hier eine kleine Geschichte des Entstehungsprozesses.

 

Kurz vor meiner Abreise nach New York, im Sommer 2015, erhielt ich über das Kontaktformular meiner Website eine Nachricht von Heiner. Er schrieb, er wolle Toningenieur werden und zur Übung mal ein Piano aufnehmen. Zufällig sei er dabei auf mich aufmerksam geworden. Ob ich dazu Lust hätte? Hatte ich. Ich schlug vor, eine kleine CD für uns daraus zu machen, und wir setzten die Aufnahme für meinen Heimaturlaub im Januar 2016 an. Glücklicherweise war der Konzertsaal in Wechterswinkel bei Bad Neustadt, den ich als mir als Ort für die Aufnahme vorgestellt hatte, schon ausgebucht und wir mussten den Termin auf August 2016 verschieben. Plötzlich hatte die Anne viel mehr Zeit, um über das Programm nachzudenken, und ihr fiel die Sache mit diesem Ravel ein...

 

Maurice Ravel ist einer meiner Lieblingskomponisten, seit ich als Jugendliche zum ersten Mal die Toccata aus seiner Klaviersuite gehört habe (Dank meines Papas!). Hier ist der Anfang davon:

Die Suite, aus der dies der letzte Satz ist, heißt "Le tombeau de Couperin". Couperin ist ein anderer französischer Komponist, der ein hübsches Stückchen komponiert hat, was ich schon immer spielen wollte.

Passt doch gut zusammen, Le tombeau de Couperin und ein Stück von Couperin. Noch viel besser passt, dass Ravel noch einige andere Stücke geschrieben hat, in denen er auf Komponisten Bezug nimmt, teilweise sogar auf konkrete Stücke von ihnen. Diese Stücke vom Ravel und den Komponisten die er sich vorgenommen hat wollte ich aufnehmen! Ein gleichermaßen interessantes wie klangschönes Programm, noch dazu basierend auf einer Idee die so naheliegend ist, dass sie vor mir noch keiner hatte. Das fand auch mein Professor Jerome Rose und riet mir, nach einem Label zu suchen, um die CD ordentlich auf den Markt zu bringen. Nach einiger Zeit entschied ich mich für das Label TyxART und das Label TyxART entschied sich für mich. Auf ihrer Website schreiben die TyxART-Leute nämlich Dinge wie:

 

TYXart ist es ein besonderes Anliegen, [...] dass Tiefsinn, Humor, Stille, Kraft, Nachdenklichkeit, aber auch Lebensfreude, Jubel oder Trauer, also alles, was die musikalischen Befindlichkeiten des Menschen erhebt und befriedigt, in unseren Veröffentlichungen enthalten ist. [...] Es geht uns dabei in erster Linie nicht um "Berühmtheit" oder "Perfektionismus", sondern ums Humane, Originelle, Individuelle und um die begeisternden und begeisterten Interpretationen ungewöhnlicher Musiker, auch der ganz jungen. Jede CD ein Unikat! Das soll unser Motto sein.[...]

 

Jemand, der sich sowas auf seine Startseite schreibt muss nett sein, dachte ich, und bisher ist dieser Eindruck geblieben.

Im August wurde die Wohnung meiner Eltern für drei Tage zum Hotel mit Vollpension umfunktioniert. Nachdem meine Eltern normalerweise zu zweit wohnen, belagerte nun nicht nur ich die Wohnung, sondern auch Heiner und außerdem Georg. Er ist einer meiner besten Freunde außerhalb meiner Generation [:-)], der zufällig auch noch Fotograf, Grafiker und Klavierbauer ist, unbedingt zuhören wollte (und Rückmeldung ist extrem wichtig beim Aufnehmen!) und mal den unvorsichtigen Satz gesagt hatte, dass er mir für meine erste CD das Cover gestalten würde. Zwischendurch kam auch noch Julia dazu, eine Freundin, die Pianistin und vor allem Sopranistin ist. Denn eines der Vorlagen-Stücke, derer sich Ravel angenommen hat, ist eine kleine Opern-Arie!

Die Aufnahme-Crew: Anne mit Georg (Mitte) und Heiner
Die Aufnahme-Crew: Anne mit Georg (Mitte) und Heiner

Heiner brachte gefühlt eine Tonne Equipment mit, und wir verbrachten die erste Hälfte von Tag 1 damit, den Flügel und sechs Mikrofone durch den Raum zu schieben, bis wir endlich den idealen Klang gefunden hatten. Schließlich hatten wir zwei Mikros unter dem Flügel, zwei kurz davor auf Kopfhöhe und zwei zehn Meter weiter hinten im Saal.

Den Rest der Zeit habe ich gespielt - jedes Stück mehrmals. Manche sehr oft (n = zweistellig), andere nur wenige Male. Zwischendurch brachte meine Mutter uns Verpflegung, die wir in unserem Arbeitseifer doch vergaßen. Wir jagten Fliegen, damit sie sich nicht auf Heiners und Georgs Nase setzen konnten, während sie völlig bewegungslos meinem Spiel lauschten. Ich unterhielt mich mit einem Greis, der ein Stockwerk tiefer sein Lebenswerk an Statuen ausstellte. Zwischendurch kleine Krisen, weil der Computer kurz auf stur stellte, eine Taste klapperte oder draußen vor dem Fenster jemand sein Auto aussaugen wollte.

Im Großen und Ganzen lief alles aber sehr harmonisch und zur Befriedigung aller Beteiligten. Wie wunderbar, wenn man sich gut versteht und toll zusammenarbeiten kann!

Für den letzten Abend, Tag 3, hatte die Verantwortliche des Konzertsaals die Nachbarn (mit denen wir uns eine Wand teilten!) bequatscht, dass wir etwas länger als bis 20 Uhr Lärm machen dürfen. Als wir gegen 22 Uhr endlich fertig und ich kaum noch zum aufrechten Gang fähig war, starteten Georg und ich noch ein Fotoshooting. Anschließend trugen wir das ganze Equipment wieder nach draußen und fuhren nach Hause zur Pizza meiner Mama, die laut ihrer Aussage drei Stunden im Ofen gebacken hatte. Jedenfalls war sie schön cross! Hier ein paar Impressionen der Aufnahmetage, die fast alle der liebe Georg gemacht hat:

Nach der Aufnahme fing die Arbeit erst an, die mich das ganze letzte Semester hindurch begleitet hat. Heiner hatte zwar durchaus schon viel Erfahrung mit dem Aufnehmen, aber Klaviere gehören anscheinend was das Aufnehmen betrifft zur Königsdisziplin. Deshalb wollte er es ja üben. Da wir beide Perfektionisten mit genauen Vorstellungen sind und daran interessiert, ein wirklich tolles Ergebnis zu erzielen, haben wir in den Schnitt sehr viel Zeit investiert. Wir haben beide jedes Stück dutzende Male angehört, Dokumente mit Hinweisen und Ideen ausgetauscht, telefoniert, Screenshots von unseren Bildschirmen gemacht und ähnliche Kommunikationsmethoden ausprobiert, um die 6000 Kilometer und 6 Stunden Zeitverschiebung zu überbrücken.

 

Parallel dazu habe ich begonnen, mich mit dem Label auseinanderzusetzen. Ich hatte den Anspruch, ein lesenswertes Booklet in die CD zu legen, denn Biographien von Komponisten kann jeder bei Wikipedia nachlesen. Nein, da sollten bitte unterhaltsame, informative, persönliche Texte im Anne-Stil hinein. Diese habe ich dann geschrieben und auch gleich noch auf Englisch übersetzt.

 

Parallel dazu haben Georg und ich ebenfalls ein hohes Datenaufkommen hin und her transportiert, als wir über das Cover nachdachten. Ich hatte von Anfang an die Idee einer Farbexplosion aus dem Flügel, da die Musik von Ravel in mir die Assoziation bestimmter Farben weckt und ich außerdem kein langweiliges Menschenporträt auf dem CD-Cover haben wollte. Die CD sollte zwar offensichtlich von mir stammen, aber gleichwertig zu meiner Präsenz sollte auch der Komponist Ravel und die Idee des Programms zur Geltung kommen. In vielen experimentellen Versuchen mit Aquarellfarbe, Strohhalmen und ähnlichen Utensilien habe ich einige Test-Bilder gemalt, die Georg für mich in eines seiner Fotos gebastelt hat. Hier eine kleine Auswahl aus dem Entstehungsprozess:

Natürlich habe ich immer wieder Menschen um ihre Meinung zum Cover gebeten. Darunter auch die Managerin von Cecilia Bartoli, einen Mitarbeiter der Carnegie Hall und allerhand Pianisten. Fragte ich fünf Leute, hatte ich zehn Meinungen. Dieses Bild sei ja abgrundtief schrecklich, und jenes sollte ich unbedingt nehmen. Nein, dieses sei zauberhaft, aber jenes todlangweilig. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich die Entscheidung ganz allein treffen würde, und dies habe ich unter den geschätzten Optimierungs- und Beratungsvorschlägen meines lieben Georg auch getan.

Nun war die Arbeit aber noch immer nicht geschafft, denn ich musste das Booklet und die CD-Hülle, welche das Label gestaltete, mehrmals korrekturlesen und Rückmeldung geben und mit Holle korrespondieren, der das Mastering übernahm (Mastering ist das, was nach dem Schnitt passiert, sozusagen die Klangoptimierung).

 

Ursprünglich hätte ich die CD gerne vor Weihnachten schon gehabt, aber das war doch etwas unrealistisch. So habe ich sie im Januar bei einigen Konzerten bereits vorgestellt, ohne sie verfügbar zu haben, denn Ende Januar musste ich wieder in New York sein, um mein Studium weiterzuführen. Man kann eben nicht alles haben. Nun ist die CD aber endlich gepresst und erhältlich. So ganz ist die Arbeit aber noch nicht vorbei, denn jetzt muss ich die Bestellungen verwalten... :-))

 

Und sonst so?

Seit ich Ende Januar nach New York zurück gekehrt bin, lag ich erst einmal mit Grippe danieder, denn jetzt, wo Weihnachten, Konzerte und CD-Arbeit hinter mir lagen, hatte ich endlich mal wieder Zeit dazu... Man hat mir zugetragen, dass die Grippe gerade um die ganze Welt geht, wie Wehklagen aus meinem Bekanntenkreis bezeugen. Allen Betroffenen wünsche ich gute Besserung. Am Mittwoch, den 8. Februar, zeigte sich New York dann versöhnlich mit 15° Celsius und Frühlingsgefühlen. Abends erhielt ich eine E-Mail von meiner Uni: Am 9. Februar ist die Uni geschlossen, alle Kurse fallen aus. Mir fiel kein triftiger Grund ein, ich fürchtete schon einen größeren Terrorakt, doch Nachforschungen ergaben nichts dergleichen. Stattdessen fand ich heraus: Es herrschte eine Schneesturmwarnung. Jetzt drehen sie völlig durch dachte ich, 15° und Schneesturmwarnung? Mein Bestürzen fiel noch etwas größer aus, da ich an dem Tag um 8 Uhr morgens hätte in der Uni unterrichten müssen. Zu schade, dass das ausfallen musste... Wie sich herausstellte, war die Warnung doch nicht so ganz aus der Luft gegriffen, denn der morgendliche Blick aus dem Fenster fiel recht weiß aus.

Aber mein letztes Semester bestand natürlich nicht nur aus CD, auch wenn die wirklich einen unerhört großen Teil meiner Zeit gefordert hat. Letztes Semester habe ich auch wieder einige interessante Fächer belegt, von denen ich gerne berichte:

 

Mich interessieren historische Instrumente, seit ich in Wien bei einer Museumsführung spontan auf einem Hammerklavier aus der Zeit Chopins gespielt habe. Hier gibt es ein Zeugnis davon, leider redet der Führer ein bisschen. Mit Schrecken stelle ich gerade fest, dass dies schon acht Jahre her ist. Damals hatte ich noch eine eins vorne am Alter. :-) Jedenfalls sind die historischen Instrumente so anders im Klang und Spielgefühl, dass man sie nicht mit heutigen Flügeln vergleichen kann. Sie sind leiser, die Dynamikbandbreite ist geringer, der Anschlag ist leichter und weniger tief, die Tasten sind kürzer und es gibt weniger davon und so weiter. Zwar klingen sie nicht so kraftvoll und groß wie heutige Flügel, haben dafür aber eine ganz andere, individuelle Lebendigkeit. Vor allem verstehe ich die darauf komponierte Musik viel besser, seit ich die Flügel kenne. Das war damals ein echtes Aha-Erlebnis, seitdem spiele ich anders Klavier. Man merkt tatsächlich, dass Chopin seine Etüden in diese Instrumente hineinkomponiert hat, denn da muss man sich nicht so abkämpfen wie auf einem Bösendorfer mit 50 Gramm Tastengewicht.

 

Also wählte ich das Fach "Hammerklavier". Dies war nur mäßig geschickt, denn es handelte sich bei dem vorhanden Instrument um ein noch älteres Modell der Wiener Klassik, welches ich wieder weniger spannend fand. Vor allem war der Unterricht aber nicht besonders spannend. Die Lehrerin war in ihrem Gesamtformat dem kleineren Instrument perfekt angepasst, redete aber ungefähr dreimal so viel wie sie hätte sollen. Dass sie sich dabei ständig selbst unterbrach und wiederholte, machte auch nicht die Tatsache wett, dass der Inhalt potentiell interessant war. Immerhin konnte ich mir die Zeit ein bisschen mit einem Freund aus Südafrika und einem anderen Freund aus den USA, der aber schon einige Jahre lang in Sankt Petersburg im Konservatorium unterrichtet hat (!) vertreiben.

Wer die Lehrerin ist, brauche ich sicher nicht zu erklären. Kleiner Tipp: Sie hat hohe Schuhe an.
Wer die Lehrerin ist, brauche ich sicher nicht zu erklären. Kleiner Tipp: Sie hat hohe Schuhe an.

Um einem langwierigen Kammermusikprojekt mit irgendwelchen mir unliebsamen Musikern aus dem Weg zu gehen, und um mich zu zwingen es wenigstens einmal im Leben probiert zu haben wählte ich als Kammermusik letztes Semester das Barockensemble. Zum ersten Mal in meinem Leben sollte ich ernsthaft auf einem Cembalo musizieren, und zwar Basso Continuo. Das bedeutet, man hat keine Noten, sondern nur eine Basslinie, über die man die richtigen Akkorde spielen muss, welche man selbst findet oder aus notierten Zahlencodes herausliest. Mein Ensemble bestand weiterhin noch aus einem Kontrabass und zwei Posaunen, später nur noch einer Posaune. Trotz meiner anfänglichen Abneigung muss ich zugeben, dass diese unwahrscheinliche Kombination schön klingt! Die Lehrerin, eine betagte Barockbratscherin, hat mich weitestgehend ignoriert und erwartet, dass ich auch spiele, wenn sie nur den Kontrabassisten anspricht. Das fand ich ein bisschen blöd von ihr. Andererseits hatte sie einfach überhaupt keine Ahnung vom Cembalo und hat mich in Ruhe vor mich hinstümpern lassen. Wir haben dieses Projekt sogar mit einem Konzertauftritt abgeschlossen und es hat mir durchaus Spaß gemacht. Ich habe die Grundlagen des Continuospiels gelernt, und am Ende hat mein rechter Fuß auch das Pedal nicht mehr gesucht, welches das Cembalo nicht hat. In Zukunft muss ich das aber nicht unbedingt nochmal haben. Für mich klingt manche Barockmusik einfach etwas gleichförmig - wenn, dann soll es schon Bach sein oder ähnliche Kaliber, und nicht unbedingt Bartolomé de Selma. Das macht beim Spielen zwar Spaß, beim Zuhören empfinde ich es aber etwas einschläfernd.

Abseits der musikalischen Pfade

In den USA ist es leider so: Entweder man besucht ein Fach, geht hin, erledigt die Hausaufgaben, schreibt Prüfung und wird benotet, oder man geht nicht hin. In Deutschland kann ich auch einfach drei Jahre in Folge in die Literaturkunde gehen wenn sie mich interessiert, und wenn ich mal drei Wochen keine Zeit habe bleibe ich fern. Prüfung schreibe ich selbstverständlich nur eine, nämlich im ersten Jahr.

Da ich keine Lust hatte, ein Brahmsquintett zu üben und dann einmal im Unterricht zu spielen, um einen Kurs zu besuchen, der sich mit der Kammermusik von Brahms beschäftigt, und da ich hier die einmalige Chance gegeben sah, in andere sehr relevante Bereiche des Musikbusiness zu schnuppern, tat ich dies.

So besuchte ich einen Feldenkrais-Kurs. Feldenkreis ist im weitesten Sinne eine Körperübung, welche die Wahrnehmung schult, den Körper anleitet, automatisch sinnvollere Bewegungen zu finden und dadurch zu einem gesundheitsfördernden, ökonimischen Verhalten beiträgt. Klingt geschraubt, kann ich aber nicht besser erklären. Die meiste Zeit liegt man auf einer Yogamatte und führt (anfangs) ganz kleine und einfache Bewegungen aus. Klingt einfach, ist es aber nicht immer. Vor allem aber verändert es das Körperbewusstsein temporär manchmal so sehr, dass man sich beim Aufstehen wie neu geboren fühlt. Dieses Gefühl bleibt nicht dauerhaft, wird aber immer mehr zur Gewohnheit und ist in seiner Qualität leichter abrufbar. Ich kann es nur sehr empfehlen. Übrigens ist dies für manche Teilnehmer so entspannend, dass während des Unterrichts regelmäßig Studenten eingeschlafen sind. Die Dozentin sagte dazu nur, dass man ihren Unterricht bestmöglich für sich nutzen solle, und wenn jemand einschläft habe er wohl das dringende Bedürfnis nach ein wenig Erholung. Es sei auch völlig legitim, Bewegungen nicht tatsächlich, sondern nur gedanklich auszuführen. Eine beeindruckende Studie hat nachgewiesen, dass vorgestellte Bewegungen beinahe denselben Übeeffekt erzielen wie tatsächlich ausgeführte!

 

Außerdem nahm ich an einem Kurs zum Thema Marketing und Publicing bei, den eine nahmhafte Managerin gab, welche Stars wie Cecilia Bartoli, Joshua Bell und andere Größen managed. Sie plauderte aus dem Nähkästchen und lud vor allem höchst interessante Gastredner ein. Darunter war ein Konzertkritiker der New York Times, ein Mitarbeiter des großen Klassiklabels Universal, die Managerin der Carnegie Hall, ein Star-Fotograf (den ich leider verpasst habe) und einige erfolgreiche Musiker. Solche Kontakte hätten mir Detmold oder Trossingen nicht geboten! Würzburg auch nicht. Zusammenfassend kann ich folgendes aus den verschiedenen Biografien zusammenfassen:

 

1. Sei freundlich und bedanke dich schriftlich

2. Jeder hat mal bei Null angefangen

3. Kontakte sind das A und O

4. Aber fragen kostet nichts

5. Chancen sind immer da, man muss sie nur erkennen

6. Hab Geduld

6. Ein bisschen Talent und Fleiß schadet nicht... :-)

 

Leider musste ich drei Wochen dieses Kurses für andere Termine der Uni verpassen und einen weiteren "privat", da ich dadurch vor Weihnachten vier Tage früher nach Hause fliegen konnte. Man sollte meinen, dass einem ein privater Fehltermin zugestanden werden könnte, da ich für die anderen Fehltage nichts konnte. Aber das verschulte, amerikanische Unisystem kennt da keine Gnade. Meine Note ist in diesem Fach eine halbe Notenstufe schlechter ausgefallen, weil ich zu oft gefehlt habe. Hier macht man keinen Hehl daraus, dass die Noten also nicht die Fähigkeiten bewerten, sondern meistens aus ganz anderen Parametern entstehen...

 

Ein sehr erstaunliches Theater-Projekt

Viele spannende Dinge fangen mit einer kryptischen E-Mail an. So auch diesmal - ich las in einer aus den zig E-mails meiner Uni, dass Musiker für ein Projekt mit dem russischen Künstler Dmitry Krymov gesucht würden. Zwar hatte ich keine Ahnung worum es ging, aber ich dachte, ich spiele mal vor. Vor Ort konnte man mir immer noch nicht wirklich erklären was man vorhatte. Aber es sollten Schauspieler, Designer, Regisseure und Musiker meiner Uni daran teilnehmen, es sollte über zwei Jahre Probenphasen geben und am ende sollten Aufführungen stehen, mit denen man nach Möglichkeit auf Tournée gehen wollet. Von mir aus gerne.

 

Man wählte mich aus für das Projekt und ich war gespannt auf die erste zweiwöchige Probenphase im Herbst, die jeden Tag von 15 bis maximal 21 Uhr dauern sollte. Mich erwarteten dort ein Haufen Schauspieler und ein paar Studenten der anderen genannten Fachrichtungen, vor allem aber Dmitry "Dima" Krymov aus Moskau. Sein Vater war ein berühmter Regisseur gewesen, er selbst wollte das erst nicht und hatte eine erfolgreiche Karriere als Maler begonnen, bis er schließlich doch beim Theater gelandet war. Seine Shows in Moskau sind dort berühmt und anscheinend ist er auch in einschlägigen Kreisen bekannt, ich kenne ihn natürlich nicht. Da sein Englisch sehr bescheiden war, übersetzte eine Übersetzerin simultan von Russisch auf Englisch, was mich hin und wieder vor kognitive Herausforderungen stellte. Dass er hin und wieder lauter sprach als sie, und vor allem gleichzeitig, machte es nicht einfacher. Immerhin wurden meine verkümmernden Russischkenntnisse auf diese Weise wieder ein bisschen belebt.

 

Dima möchte mit uns zusammen "etwas" kreieren. Was, konnte er noch nicht genau sagen, denn er kannte uns ja noch nicht. Zu Beginn bekamen wir Aufgaben, "Etüden". Wir wurden in Gruppen von einer Handvoll Leute aufgeteilt, wobei jeweils alle Fachgruppen vertreten sein sollten, bekamen einen Begriff ("Ameise, Unterhaltung, Nacht, Sonnenaufgang...") und sollten zu diesem eine ungefähr fünfminütige Darstellung erarbeiten. Wir hatten Kostüme, Farbe, Papier und andere Materialien zur Verfügung, außerdem ein Klavier. Dass außer den Schauspielern keiner Schauspielerfahrung hatte, spielte keine Rolle, alle mussten ran. Die Musiker: Zwei Pianistinnen, ein Posaunist, ein Counter-Tenor, eine Flötistin, eine Jazz-Sängerin.

Anschließend spielten die vier bis fünf Gruppen ihre Sequenzen vor und Dima arbeitete mit uns daran in "russischer Manier". Man hatte uns vorgewarnt dass es Pausen bei ihm nicht gäbe, und er hatte sich selbst zu Beginn entschuldigt, dass er nichts böse meine, sondern er halt Russe sei. Seine Vorstellung von Theater ist schwer wiederzugeben, und sein Ziel in diesen zwei Wochen war nur, uns das begreiflich zu machen. Dafür führte er ein russisches Wort ein, "Obras", welches man nicht Übersetzen kann. Was es genau bedeutet, habe ich bis heute nicht herausgefunden. Kann mir irgendein Russisch-Native bitte helfen?

 

Theater soll vor allem mehr sein als nur Verbildlichung, denn einen Text lesen könne er auch ohne Theater, sagt Dima [wobei wir uns ja nicht an Texten orientierten]. Man müsse das Publikum mit mehr entlassen als es gekommen sei, ihm Dinge an sich aufzeigen, die es noch nicht kennt. Es muss ein Überraschungsmoment geben, etwas Unerwartetes, Groteskes, Besonderes, Dramatisches. Aber nicht übertrieben oder lächerlich, zu lustig oder kitschig. Reduzierte Mittel kommen auch gut an. Ein Faden kann so vieles sein. Puh.

Solche Szenen, "Etüden" konnten zum Beispiel folgendermaßen aussehen: Bei der "Ameise" saß ich mit anderen hintereinander in einer Reihe und wir gaben uns über den Kopf hinweg Stühle nach hinten durch. Sehr anstrengend. Der zu vorderst Sitzende ging nach der Stuhl-Weitergabe ans Ende der Reihe, so dass wir die Stühle umständlich durch den Raum transportieren konnten. Bei der Tür hörten wir aber nicht auf, sondern verließen den "Zuschauerraum" und machten den ganzen langen Gang hindurch weiter.

Bei "Nacht" lagen ein paar "Kinder" nebeneinander auf dem Boden in ihren "Schlafsäcken" und kicherten im Dunkeln. Ging die Tür auf, waren sie still und kicherten danach noch lauter. Dann ging das Licht an, die Mutter kam herein und ging von Schlafsack zu Schlafsack. - Sie schaute unter die Leichentücher um zu sehen, ob ihr Kind darunter sei und verließ dann den Raum.

Bei "Engel" stritten sich ein chinesischer Counter-Tenor und ein Posaunist in ulkigen Kostümen in ihrer Instrumentensprache.

Bei "Traum" spielte ich eine impressionistische Eigenkomposition [dazu vielleicht später einmal mehr], während ein Mädchen einen Luftballon durch die Gegend trug, der scheinbar schwebte - dann setzte sie sich, und das Wasser daraus ergoss sich über ihren Kopf - Musik aus, Licht aus.

 

Zehn dieser Stücke wurden am Ende der zwei Wochen in einer internen Vorstellung vor Leuten der Drama-Fakultät vorgespielt. Zum Schluss schoben wir vier Wandspiegel sehr langsam auf das Publikum zu, stellten uns dann im Halbdunkel hinter sie und hielten alle unsere leuchtenden Handys wie Sterne nach oben, so dass Publikum und Darsteller sich selbst im Spiegel sahen.

Die Vorführung war wirklich sehr, sehr besonders, manche im Publikum haben sogar zu Weinen begonnen. Von Dima und auch anderen gab es Lobeshymnen dazu, was für eine tolle Gruppe wir seien und wie ernsthaft und kreativ wir gearbeitet hätten, und dass er ein gutes Gefühl mit uns habe. Die ganze Zusammenarbeit war auch deshalb etwas Besonderes, weil während der Probenphase der amerikanische Präsident gewählt worden war und wir uns in entsprechend verzweifeltem Ausnahmezustand befanden. Das schweißt zusammen. Viele der Teilnehmer sind Gruppen zugehörig, die sich diskriminiert fühlen (Ausländer, Schwule / Lesben etc.).

 

Dimas Idee für unsere Show ist nun eine Aufführung in drei Akten: I Das Casting (entstanden aus einer der Übungen - da hatte jemand ein überspitztes Casting bzw. Aufnahmeprüfung dargestellt mit unmöglichen Anforderungen und Verhaltensweisen). II Die Probe (ebenfalls aus einer Übung entstanden, an der ich beteiligt war - wir hatten eine Parodie auf Dimas Unterricht gemacht) und III die Aufführung - dies soll eine kurze, ganz ernsthafte Aufführung eines literarischen Werkes sein.

Für die nächste Probenphase im März haben wir die Hausaufgabe, uns einen Charakter, ein Alter-Ego zu erschaffen. Wir mussten ein mehrseitiges Skript über diesen Charakter abgeben. Er / Sie / Es soll theoretisch als Mensch denkbar sein und in New York leben, aber möglichst merkwürdig, grotesk und auffällig sein. Wir sollten die gesamte Biographie erfinden inklusive geheimer Wünsche, Träume, Angewohnheiten, Ticks, Frühstücksgewohnheiten. Eine sehr interessante Aufgabe.

 

Für mich ist dieses Projekt wahnsinnig spannend, weil da zwei Dinge gleichzeitig passieren, die ich sonst nie gleichzeitig habe:

1. Ich bin Künstlerin und habe mich schon viel mit Kunst und Kunstausübung beschäftigt - hauptsächlich auf der musikalischen Ebene - aber Kunstausübung schließt auch immer einen selbst, die Persönlichkeit und den Charakter mit ein. Auf dem Gebiet des Künstler-Seins bin ich also fortgeschritten und erfahren.

2. Schauspiel und Theater - davon habe ich nur wenig Ahnung und wenig Erfahrung.

Dies beides Zusammen ist eine wirklich einmalige Kombination, denn ich habe den Eindruck dass ich weiß worum es geht, aber das konkrete Werkzeug noch nicht kenne. Ich kann also etwas neues Aufbauen und einen völlig neuen Blick auf die Kunst gewinnen, der mir bisher fast gänzlich fehlt.

 

Wenn alles nach Plan verläuft und ich weiterhin teilnehme, werde ich in der Zukunft noch ein paar mal guten Grund haben, nach New York zu fliegen, was mich natürlich außerordentlich freut!

Und während ich diesen Blog-Eintrag schreibe erreicht mich eine E-Mail, dass in der Paketannahmestation des Wohnheims etwas auf mich wartet. Der Blick auf die Uhr verrät, dass ich noch sechs Minuten Zeit habe, dorthin zu gelangen, bis sie schließt. Auf dem Weg werde ich durch ein Film-Team aufgehalten, welches mal wieder den Aufenthaltsraum blockiert, durch den ich von einem Teil des Hauses ins andere komme. Also muss ich einen der lahmen Aufzüge nehmen. Vier Minuten vor Zapfenstreich treffe ich eine geöffnete Paketstation an und kann mir kaum mein Dauergrinsen verkneifen. Der Ausgabe-Mensch muss aber erst noch fünf Minuten lang ein ca. zwei Meter langes und einen Meter hohes Paket beschriften (keine Ahnung, was die Leute hier so bestellen) bis ich endlich mein 8,8 KG schweres Päckchen erhalte.

Meine Eltern haben den größeren Teil der CDs bereits gestern erhalten, was ich einigermaßen gemein finde, vor mir!! Wenn man aber bedenkt, dass sie erst einen Tag vorher überhaupt verschickt wurden, gebe ich zu, dass sie mich nun auch einigermaßen zügig erreicht haben. :-)

 

Nun wünsche ich euch ein schönes Wochenende und verbleibe mit besten Grüßen aus New York,

 

Eure Anne

 

PS: Ich wurde gefragt, was ein Theremin ist. >>Klick<<

 

PPS: Hier noch ein paar Fotos aus dem letzten Semester

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